In den Kinderkliniken Deutschlands herrscht Alarmstufe Rot: Täglich ringt Ursula Felderhoff-Müser mit dem Dilemma, in ihrer Essener Kinderklinik adäquate Betreuungskapazitäten sicherzustellen. Die Notwendigkeit für intensivmedizinische Versorgung von Kindern ist ungebrochen, jedoch stellt der strukturelle Bettmangel – ein Mischproblem aus fehlenden physischen Kapazitäten und einem gravierenden Mangel an Pflegepersonal – die Klinik vor große Herausforderungen. Die kritische Lage veranlasst sie oft dazu, Patienten an weiter entfernte Krankenhäuser zu verweisen, um eine Erstversorgung gewährleisten zu können.
Die Kinderklinik I in Essen, mit Spezialisierungen auf Frühgeborene, Kinderintensivmedizin und Neurologie, steht sinnbildlich für eine landsweite Krise der Kindermedizin. Eine Umfrage der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin hat offengelegt, dass lediglich 65 Prozent der Intensivbetten für Kinder einsatzbereit waren. Von 145 angeschriebenen Kinderintensivstationen bestätigten 91 die Engpässe, begründet durch eklatanten Fachkräftemangel und hohe Krankheitsraten des Personals. Besonders prekär ist die Situation, weil laut GKIND-Vorsitzendem Bernhard Hoch, Kinder aus Kapazitätsgründen teilweise zuhause behandelt werden müssen.
Die Berufsausbildungen in Alten-, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege wurden im Jahr 2020 zu einer generalistischen Pflegeausbildung zusammengelegt. Eine Vertiefung im Gebiet Pädiatrie ist nur in einer Spezialisierungsphase möglich, die jedoch selten angeboten wird. Dieser Mangel an spezialisierten Ausbildungswegen wird kritisiert, da die Betreuung junger Patienten mehr Personalressourcen fordert, wie Felderhoff-Müser betont; eine leidvolle Erkenntnis, wenn schon die Blutentnahme bei einem Dreijährigen zum Kraftakt wird.
Gleichzeitig zur Personalnot schrumpft die Anzahl der Einrichtungen für Kinder- und Jugendmedizin von ehemals 440 auf nur noch 326. Dies steht im krassen Gegensatz zu einem gestiegenen Bedarf an spezialisierten Behandlungen und einer erhöhten Geburtenrate. Die wirtschaftliche Situation der Kliniken verschärft die Krise zusätzlich, da die Einkünfte saisonbedingt schwanken und viele Einrichtungen kaum kostendeckend arbeiten können. Hoch warnt vor drohenden Insolvenzen und Schließungen, sollte die Finanzierung der Einrichtungen nicht grundsätzlich gesichert werden.
Als Reaktion auf die prekäre Lage wurden von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach Soforthilfen in Aussicht gestellt: Eine finanzielle Spritze von 300 Millionen Euro für die Jahre 2023 und 2024 soll die Kinderkliniken entlasten. Weiterhin ist im Rahmen der Krankenhausreform ein Sicherstellungszuschlag für die Bereiche Kinderheilkunde und Geburtshilfe vorgesehen. Die Kritik: Diese Unterstützung erreiche auch Kliniken, die nicht primär in der Kindermedizin tätig sind, was die Verteilung der Gelder beeinträchtigt. Zudem befürchtet Felderhoff-Müser einen Fehleinsatz der zusätzlichen Mittel, anstatt sie in die Schaffung neuer Stellen oder bessere Ausstattung zu investieren.
Abschließend appellieren Fachärzte an die gesellschaftliche Verantwortung, die Versorgung von Kindern nicht länger zu riskieren, da diese die Zukunft darstellten.