Deutschland steckt mitten in einem industriellen Umbruch, und der Arbeitsmarkt ächzt unter den Folgen. Tausende Stellen werden gestrichen, Produktionsstätten geschlossen oder ins Ausland verlagert.
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat unter ihrer Chefin Andrea Nahles ein ambitioniertes Ziel: mit sogenannten „Arbeitsmarkt-Drehscheiben“ Entlassungen in der Industrie abzufedern und Beschäftigte direkt in neue Jobs zu vermitteln.
Das Modell klingt nach einer eleganten Lösung für ein komplexes Problem. Doch die Realität sieht anders aus: Zögernde Unternehmen, fehlende Kooperation und unklare Ergebnisse werfen die Frage auf, ob das Nahles-Modell wirklich der große Wurf ist.
Das Problem: Stellenabbau ohne Perspektive
In der deutschen Industrie schrumpfen die Beschäftigtenzahlen dramatisch. Allein im verarbeitenden Gewerbe und im Bau gingen innerhalb eines Jahres 110.000 Stellen verloren – Tendenz steigend. Thyssenkrupp, BASF und viele andere Unternehmen planen umfangreiche Entlassungen.
Gleichzeitig sind in anderen Branchen Stellen unbesetzt. Gesundheitswesen, öffentlicher Dienst und sogar einige Industrieunternehmen wie Rheinmetall suchen händeringend nach Personal. Doch die Anforderungen an Qualifikation und Gehaltserwartungen klaffen oft weit auseinander.
Andrea Nahles sieht die Lösung in Arbeitsmarkt-Drehscheiben: Unternehmen sollen frühzeitig mit der BA kooperieren, um betroffene Mitarbeitende direkt in neue Stellen zu vermitteln – idealerweise, bevor sie arbeitslos werden.
So funktioniert die Arbeitsmarkt-Drehscheibe
Die Idee ist simpel: Wird ein Stellenabbau angekündigt, meldet sich das Unternehmen bei der BA. Gemeinsam werden die Qualifikationen der betroffenen Mitarbeitenden analysiert, potenzielle neue Arbeitgeber identifiziert und nötige Weiterbildungen organisiert. Ziel ist ein nahtloser Übergang in einen neuen Job.
In der Theorie klingt das vielversprechend, doch die Praxis zeigt: Viele Firmen melden geplante Entlassungen erst spät, oder gar nicht. Vertrauen und Kooperation sind entscheidende Hürden, wie Nahles selbst einräumt.
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Erste Ergebnisse: Ein Tropfen auf den heißen Stein
Aktuell befinden sich die Arbeitsmarkt-Drehscheiben noch in der Pilotphase. Rund 30 Projekte wurden bundesweit gestartet, doch die Vermittlungen sind bislang überschaubar. Zahlen dazu? Fehlanzeige. Weder die Anzahl vermittelter Mitarbeitender noch die Kosten des Programms werden statistisch erfasst.
Einzelne Erfolge, wie die Vermittlung von Karstadt-Beschäftigten zur Deutschen Rentenversicherung, sind die Ausnahme. Große Entlassungswellen, etwa bei Opel in Bochum 2014, zeigen hingegen, wie schwierig derartige Programme sein können: Von 2.600 Beschäftigten fanden damals nur 260 eine neue Stelle.
Selbst Andrea Nahles gesteht ein: „Das ist oft ein zähes Geschäft.“
Gewerkschaften und Unternehmen bremsen
Auch Gewerkschaften sehen das Modell kritisch. Evelyn Räder vom Deutschen Gewerkschaftsbund warnt, dass Beschäftigungssicherung im bisherigen Unternehmen oft keine Rolle spiele. Viele Betroffene müssten auf schlechter bezahlte Stellen ausweichen, was den Fachkräftemangel zusätzlich verschärfen könnte.
Ein weiteres Problem: Frühverrentungen und hohe Abfindungen. Gerade größere Unternehmen wie Volkswagen setzen auf diese Praxis, statt Mitarbeitende durch Drehscheiben in neue Jobs zu bringen.
„Das ist angesichts des Fachkräftemangels der falsche Weg“, sagt Nahles.
Erfolgsgeschichten und Herausforderungen
Dennoch gibt es Beispiele, die Mut machen. Beim Automobilzulieferer Continental soll ein gesamtes Werk geschlossen und die Beschäftigten in Unternehmen wie Siemens und Rheinmetall vermittelt werden. Erste Verträge wurden bereits unterzeichnet, doch der Prozess läuft schleppend.
Andere Betriebe lehnen die Zusammenarbeit mit der BA komplett ab. Nahles berichtet von Zulieferern, die geplante Stellenstreichungen nicht melden und auf Eigeninitiative setzen. Hier stößt das Modell an klare Grenzen.