Die kanadische Ölindustrie erlebte kürzlich einen bedeutenden Neustart: Mit der Eröffnung der erweiterten Trans Mountain Pipeline hat sich für die Branche ein neuer Weg zum Pazifik geöffnet. Somit wird nun Rohöl aus dem abgeschotteten Alberta zu den Tankeranlegestellen an der Küste von British Columbia transportiert. Der Abschluss des prestigeträchtigen Infrastrukturvorhabens, das erstmals vor zwölf Jahren vorgeschlagen und von zahlreichen Herausforderungen begleitet wurde, bedeutet nahezu eine Verdreifachung der Systemkapazität auf 890.000 Fässer täglich – und übertrifft damit sogar die geplante Kapazität der Keystone XL-Pipeline.
Die Verwirklichung des C$34 Milliarden teuren Projekts – das den finanziellen Rahmen weit über die anfänglichen C$7,4 Milliarden von 2017 hinausgespannt hat – ist ein Symbol für die Hartnäckigkeit der kanadischen Ölindustrie, immerhin die viertgrößte weltweit, aber auch ein Spiegelbild der Spannungen in der kanadischen Klima- und Energiepolitik unter Premierminister Justin Trudeau. Trudeau, dessen Regierung das Projekt 2018 von Kinder Morgan übernahm, um seine Durchführung zu sichern, sieht sich vielfach Kritik ausgesetzt, auch wegen des hohen CO2-Ausstoßes des daraus gewonnenen Öls aus den Ölsanden Albertas.
Obwohl das Projekt von Greenpeace Canada und anderen Klimaaktivisten kritisiert wird, die in den Kosten eine verpasste Chance für grüne Energien sehen, bietet die Pipeline für kanadische Ölunternehmen wie Cenovus – dessen CEO Jonathan McKenzie den Tag der Inbetriebnahme als großen Tag für Kanada bezeichnete – eine willkommene Diversifizierung. Das Projekt verspricht den Ölproduzenten, langfristig von US-Raffinerien unabhängiger zu werden und ihre Produkte nach Asien und an die US-Westküste zu liefern, wodurch etwaiger Importbedarf aus Lateinamerika und dem Nahen Osten reduziert werden könnte.
Für China, mit Energiekonzernen wie Sinochem und Sinopec als eine der Ersten, die Frachten aus der erweiterten Trans Mountain erhalten, sowie für globale Käufer bedeutet das Projekt eine verlässlichere Energiequelle. Darüber hinaus werden indigene Gemeinden entlang der Strecke die Möglichkeit erhalten, Eigentumsanteile zu erwerben. Trotz des Widerstands einiger Gruppen haben nahezu 70 indigene Gemeinschaften vertrauliche Nutzungsvereinbarungen unterzeichnet.
Experten wie Rory Johnston gehen trotz der immensen Kosten davon aus, dass das Eingreifen der Regierung richtig war. Dennoch bleibt die Sorge um die Pipeline-Maut, die mit C$10,88 pro Barrel deutlich höher ausfällt als ursprünglich veranschlagt und die Gewinnmargen der Ölversender beeinträchtigen könnte.
Für Trans Mountain ist dieser Kostensatz jedoch notwendig, um finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, während die Regierung bereits Pläne für einen Verkaufsprozess skizziert, um einen fairen Marktwert für Kanadas Ressourcen sicherzustellen. Analysten von BMO Capital Markets sehen in der Partnerschaft Chinook Pathways zwischen Pembina Pipeline und indigenen Gruppen einen potenziellen Käufer für einen bedeutenden Minderheitsanteil, der jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen dürfte.