Das erste Mal richtig rot
Rot ist keine neue Farbe an der Börse. Aber sie wirkt anders, wenn sie plötzlich die eigene ETF-App dominiert. Wer in den letzten Jahren zu den wachstumsverwöhnten Neobroker-Anlegern zählte, erlebt gerade einen Realitätsschock. Der erste echte Einbruch – nicht nur ein Rücksetzer, sondern ein echter Test.
Für viele ist es der erste Moment, in dem sich das „Langfristig halten“-Mantra nicht mehr nur klug anhört, sondern Mut kostet.
Die Wohlfühljahre sind vorbei
Seit der Pandemie ging es gefühlt nur nach oben. ETFs, Aktien, Kryptos – alles im Plus, alles mit Rückenwind. Wer 2020 oder 2021 eingestiegen ist, kennt Kursverluste nur aus alten Zeitungsartikeln.
Rückgänge? Ja, gab’s mal kurz. Aber sie wurden meist sofort von neuen Höchstständen überdeckt.
„Nicht verkaufen! Nicht in Panik geraten!“
Jetzt sieht es anders aus. Der Markt sinkt, die Zinsen bleiben hoch, die Weltlage ist nervös. Und plötzlich ist da dieses neue Gefühl: Unsicherheit.
Theorie ist geduldig
„Nicht verkaufen! Nicht in Panik geraten!“ – so der Standardsatz aus jedem Anlegerhandbuch. Nur: Das sagt sich leicht, solange alles grün ist. Wenn aber das Depot plötzlich 15 oder 20 Prozent im Minus steht, beginnt der psychologische Teil des Investierens.

Dann reicht kein ETF-Buch, dann hilft auch kein Podcast. Dann zeigt sich, ob man der Theorie vertraut – oder ob man doch lieber „kurz rausgeht“, bis sich alles „beruhigt hat“. Spoiler: Das hat für Privatanleger selten gut funktioniert.
Crash ist nicht gleich Krise
Für erfahrene Investoren ist das, was gerade passiert, kein Weltuntergang. Es ist ein Börsenabschwung. So etwas kommt vor. Alle paar Jahre. Manchmal kürzer, manchmal länger. Wer breit investiert ist, muss das aushalten – und hat es meist am Ende auch nicht bereut.
Die Börse läuft in Zyklen, nicht in geraden Linien. Rückgänge sind Teil des Spiels. Und je länger der Anlagehorizont, desto kleiner wird ein Einbruch wie dieser auf der langfristigen Kurve aussehen.
Die größte Gefahr sitzt vorm Bildschirm
Der schlimmste Feind des Anlegers ist nicht die Konjunktur – es ist der eigene Daumen. Wer täglich sein Depot checkt, sieht Zahlen statt Strategien. Wer nach jedem Rückgang an der eigenen Entscheidung zweifelt, verliert nicht nur Geld, sondern auch Klarheit.
Gerade jetzt hilft es, einen Schritt zurückzutreten. Wer nicht verkaufen muss, sollte es auch nicht tun. Wer langfristig denkt, weiß: Jetzt wird nicht verdient – jetzt wird gelernt.
Ruhig bleiben ist keine Schwäche
Es gibt keine Garantie, dass es in drei Wochen wieder besser aussieht. Es kann noch weiter runtergehen. Aber genau deshalb ist Durchhalten so entscheidend. Nicht, weil es heroisch ist – sondern weil es schlicht vernünftig ist.
Marktzyklen sind unberechenbar. Aber eines ist sicher: Wer jeden Rückgang als Ausstiegssignal sieht, wird nie die Erholung mitnehmen.
Was bleibt
Die App zeigt rot. Die Nerven liegen blank. Und der innere Kritiker schreit: „Raus hier!“ Doch genau in solchen Momenten zeigt sich, was Investieren eigentlich bedeutet: Vertrauen, Weitsicht, Geduld.
Nicht verkaufen. Nicht verrückt machen. Nicht jeden Tag reinschauen.
Wer das aushält, hat mehr gewonnen als nur Rendite.