Die Entscheidung, die sowohl unvermeidlich als auch erstaunlich schien, hat nun Realität angenommen: Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat Haftbefehle gegen den israelischen Premierminister Binyamin Netanyahu und den kürzlich ausgeschiedenen Verteidigungsminister Yoav Gallant erlassen. Ihnen wird vorgeworfen, während des einjährigen Krieges Israels gegen die Hamas im Gazastreifen Kriegsverbrechen begangen zu haben. Der Gerichtshof hat zudem den obersten kommandanten der Hamas angeklagt, dessen Massaker an Israelis als Auslöser für den israelischen Angriff auf Gaza gilt. Die Anklagen gegen die beiden israelischen Politiker sind ein diplomatisches Desaster für Netanyahu und möglicherweise auch für den Gerichtshof selbst.
Die Haftbefehle wurden im Mai vom IStGH-Ankläger Karim Khan angefordert, basierend auf einfacher nachzuweisenden Kriegsverbrechensvorwürfen im Gegensatz zu Genozidanklagen. Netanyahu und Gallant wird der Einsatz von Hunger als Kriegswaffe und Angriffe auf Zivilisten in Gaza vorgeworfen. Eine Richterkammer des IStGH beschloss, dass es "begründete Gründe" dafür gibt, dass solche Verbrechen geschehen sind.
Die Reaktionen aus Israel sind heftig: Bezalel Smotrich, Israels Finanzminister, bezeichnete die Entscheidung als "Kainsmal", während es Yair Golan, Vorsitzender einer linksgerichteten Partei, als "beschämende Entscheidung" verurteilte. Netanyahu nannte es gar einen "modernen Dreyfus-Prozess", eine Anspielung auf das Unrecht gegenüber einem jüdischen Offizier im 19. Jahrhundert. Solche Vorwürfe von Antisemitismus verkennen jedoch die unvoreingenommene Geschichte des IStGH.
Nebensächlich ist jedoch die Gelegenheit für eine Auslieferung der beiden israelischen Politiker, da Israel nicht Mitglied des Gerichtshofs ist. Dennoch könnten beide mühelos in 124 anderen Staaten verhaftet werden, darunter viele Verbündete Israels. Die USA als bedeutende Ausnahme sind selbst nicht Mitglied, weshalb das Urteil insbesondere die amerikanische Politik erschüttert und zu Sanktionen gegen den Gerichtshof führen könnte.
Das Urteil könnte langfristige diplomatische Isolation und erhöhte Abhängigkeit von den USA für Israel bedeuten. Ungeachtet aller internationalen Spannungen signalisieren die Kontroversen um den Gerichtshof und Missfallenskundgebungen in den USA eine verstärkte Auseinandersetzung mit den Themen internationaler Justiz und Nahost-Politik.