Indiens Aktienmärkte erlebten in den letzten zwei Jahren einen beispiellosen Aufschwung, angetrieben durch das Vertrauen der Investoren in das starke Wirtschaftswachstum des südasiatischen Giganten. Doch zuletzt ist ein erheblicher Teil des Glanzes verblasst. Grund dafür sind schwächere Wirtschaftsdaten und anhaltend hohe Inflation, die Zweifel an den Fundamentaldaten der am schnellsten wachsenden G20-Wirtschaft aufkommen lassen.
Der Oktober verzeichnete rekordverdächtige Nettoabflüsse von circa 11,2 Milliarden US-Dollar an lokalem Aktienkapital durch ausländische Investoren, gefolgt von weiteren 2,5 Milliarden US-Dollar im November. Analysehäuser führen einerseits den Einfluss von Chinas kürzlichen Stimulusmaßnahmen an, die Investoren zurücklocken, andererseits die hohen Bewertungen der indischen Aktien als Hemmschwelle.
Die beeindruckenden Wachstumsprognosen von institutionellen Schwergewichten wie Franklin Templeton und Morgan Stanley, die Indien sogar als das „nächste China“ und auf eine „indische Dekade“ hoffen, scheint derzeit ins Stocken zu geraten. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs im Septemberquartal nur um 5,4 Prozent im Jahresvergleich – der niedrigste Wert seit nahezu zwei Jahren.
Besonders die Kernindustrien wie Bergbau und Produktion, die maßgeblich von Premierminister Narendra Modis „Make in India“-Initiative profitieren sollten, schwächeln. Die Wachstumsraten im produzierenden Gewerbe sanken drastisch, während der Bau-Sektor ebenfalls nachließ. Marktbeobachter wie Macquarie nennen Gründe wie abgeschwächte staatliche Ausgaben im Wahljahr, ungünstige Monsunregenfälle und wirtschaftliche Verschlechterungen in den Haushalten als belastende Faktoren.
Die Inflation, die im Oktober auf über 6 Prozent stieg, bewegt sich weiterhin über dem Zielband der indischen Zentralbank (RBI), trotz einer kleinen Entspannung im November auf 5,5 Prozent. Verharrende Leitzinsen haben jedoch Geschäftsvertreter in Delhi verärgert, da die hohen Kreditkosten Unternehmen belasten.
Während Finanzministerin Nirmala Sitharaman den Wachstumsrückgang als 'vorübergehende Delle' abtut, sind viele Experten skeptisch, ob sich dieser Trend nicht verfestigt. Insbesondere die urbane Mittelklasse leidet unter einer gedämpften Konsumnachfrage, da die Löhne mit der Inflation nicht Schritt halten und Kreditvergaben erschwert wurden.
Ein schleppendes Investitionsinteresse seitens der indischen Unternehmen wird ebenfalls als Achillesferse genannt. Mahesh Vyas vom Centre for Monitoring Indian Economy hebt hervor, dass der Mangel an hochwertigen Arbeitsplätzen den Konsum nicht ausreichend ankurbeln kann.
Die Erwartung einer gelockerten Geldpolitik unter einem neuen RBI-Gouverneur sowie gestiegene Staatsausgaben könnten 2025 eine Wende bringen. Dennoch bleibt die Einschätzung von Nomura-Ökonomin Varma: Ein substantielles Anziehen der Dynamik wird frühestens in sechs Monaten erwartet.