Das deutsche Stromnetz wird oft als eines der zuverlässigsten weltweit gepriesen. Laut der Bundesnetzagentur liegt die durchschnittliche Unterbrechungsdauer pro Letztverbraucher bei lediglich 12,2 Minuten pro Jahr, ein international vorbildlicher Wert.
Doch eine kürzlich durchgeführte Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) unter mehr als 1000 Unternehmen offenbart eine andere Realität.
Fast die Hälfte der befragten Betriebe berichtete von erheblichen finanziellen Einbußen durch Produktionsausfälle und Maschinenschäden aufgrund von Stromausfällen.
Diskrepanz zwischen Statistik und Unternehmenserfahrungen
Die Bundesnetzagentur stützt ihre positiven Meldungen auf den SAIDI-Index, der nur Unterbrechungen über drei Minuten erfasst.
Viele deutsche Unternehmen kämpfen jedoch mit kürzeren, sogenannten Mini-Blackouts, die nicht systematisch erfasst werden und dennoch gravierende Auswirkungen haben.
Diese kurzzeitigen Stromausfälle können teure Fehlfunktionen in hochmodernen Maschinen verursachen, die für präzise Produktionsprozesse entscheidend sind.
Industrielle Modernisierung erhöht Anfälligkeit
Die fortschreitende Elektrifizierung und Modernisierung der Produktionsprozesse in deutschen Unternehmen führt zu einer erhöhten Sensibilität gegenüber Stromschwankungen.
Selbst kleinste Spannungsschwankungen können zum Ausfall von sensiblen Maschinen führen, die in der modernen Fertigung eingesetzt werden.
Diese Entwicklung verursacht nicht nur finanzielle Verluste, sondern zwingt Betriebe auch zu zusätzlichen Investitionen in Notstromaggregate und Energiespeicher als Absicherung gegen die instabile Stromversorgung.
Forderungen nach einem besseren Monitoring
Angesichts der Diskrepanz zwischen der offiziellen Darstellung der Netzqualität und der erlebten Realität in den Unternehmen fordert die DIHK ein verbessertes Monitoring für kürzere Stromausfälle und ein Auskunftsrecht über deren Ursachen.
Der Verband schlägt vor, dass die Bundesnetzagentur stichprobenartige Überwachungen einführt, um die Zuverlässigkeit des Stromnetzes besser beurteilen und entsprechend reagieren zu können.
Politischer Handlungsbedarf wird deutlich
Die jüngsten Erkenntnisse aus der Unternehmensbefragung haben auch politische Reaktionen hervorgerufen. Fachpolitiker verschiedener Parteien erkennen die Bedeutung einer zuverlässigen Stromversorgung als wichtigen Standortfaktor und fordern eine proaktive Auseinandersetzung mit den zunehmenden Stromausfällen.
Es wird betont, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Netzkapazitäten Hand in Hand gehen muss, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Die Zuverlässigkeit eines Stromnetzes ist mehr als nur eine Frage der Statistik. Sie ist ein entscheidender Faktor für die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland.