Ein Imperium auf vielen Säulen
Die Hisbollah ist im Libanon längst mehr als eine politische oder militärische Kraft – sie ist ein wirtschaftlicher Koloss. Die Organisation hat über Jahrzehnte ein Netzwerk aufgebaut, das tief in die Weltwirtschaft greift und weit über die Landesgrenzen hinausreicht.
Der Kern dieser Finanzstruktur: die Organisation Al-Qard-al-Hassan (AQAH). Unter dem Deckmantel einer Wohltätigkeitsorganisation agiert AQAH als Bank der Hisbollah und verschafft ihr Zugang zu harten Währungen, die sonst in der libanesischen Finanzkrise knapp sind.
Mit dieser finanziellen Basis konnte die Hisbollah nicht nur ihren Einfluss festigen, sondern auch die wirtschaftlichen Abhängigkeiten im Land zu ihrem Vorteil nutzen.
Israels gezielter Schlag
Am vergangenen Sonntagabend schlug Israel eine neue Richtung ein und griff gezielt die Finanzzentren der Hisbollah in Beirut an. Diese Angriffe galten nicht der militärischen Infrastruktur, sondern richteten sich direkt auf die Finanzadern der Organisation.
„Wir haben das Herzstück ihrer Finanzierung getroffen“, so Daniel Hagari, israelischer Militärsprecher.
Die Angriffe zielten auch auf Bunker, in denen, wie es heißt, Bargeld und Gold in Millionenhöhe lagerten. Diese Reserven sollen die finanzielle Basis für die internationalen Operationen der Hisbollah bilden und finanzieren das terroristische Netzwerk weltweit.
Doch die Hisbollah dementiert die Vorwürfe, dass ihre Vermögen auf diese Weise gehortet werden. Für die Menschen im Libanon, die unter der Wirtschaftskrise leiden, ist die Sicht auf die Hisbollah komplex: Die Organisation gewährt finanzielle Hilfen und Mikrokredite, wo das staatliche System längst versagt hat.
Doch die Hintergründe dieser "Hilfe" sind weit weniger harmlos, wie Kritiker immer wieder betonen.
Bank oder Machtinstrument?
„AQAH ist weit mehr als eine Bank“, erklärt der Terrorismusexperte Emmanuele Ottolenghi. „Es ist ein Machtinstrument der Hisbollah. Seit dem Zusammenbruch des libanesischen Bankensystems gewährt die AQAH Kredite an die Bevölkerung und bindet sie damit an die Hisbollah.“
Besonders die schiitische Bevölkerung im Libanon ist auf diese Finanzierung angewiesen – doch auch die Armen anderer Bevölkerungsgruppen greifen angesichts der Wirtschaftsnot auf Mikrokredite der AQAH zurück.
„AQAH ist heute die größte Mikrokredit-Organisation des Landes“, sagt Simon Wolfgang Fuchs, Professor für Nahoststudien. Die Hisbollah hat es damit geschafft, sich als Rettungsanker zu positionieren und ihren Einfluss auszubauen.
Gleichzeitig lagern in den Bunkern und Filialen von AQAH Werte in Gold und Bargeld, die Israel nun ins Visier nimmt, um den wirtschaftlichen Rückhalt der Organisation zu zerstören.
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Ein globales Netzwerk krimineller Aktivitäten
Doch das Netzwerk der Hisbollah ist nicht auf den Libanon beschränkt. Die Organisation ist tief in kriminelle Machenschaften verstrickt und nutzt internationale Netzwerke zur Geldwäsche und Kapitalbeschaffung.
Im Dreiländereck zwischen Argentinien, Brasilien und Paraguay, einer Hochburg krimineller Aktivitäten, agiert die Hisbollah Seite an Seite mit lokalen Mafiagruppen. Die Einnahmen aus Drogen- und Waffenschmuggel sowie dem Handel mit Blutdiamanten fließen direkt zurück an die Organisation, wie Uzi Shaya, ein ehemaliger Mossad-Mitarbeiter, berichtet:
„Die Hisbollah hat ihre Tentakel weltweit ausgestreckt. Wo immer es eine schiitische Gemeinde gibt, ist auch die Hisbollah vertreten.“
Strategie zur Schwächung der Wurzeln
Israel hat über Jahrzehnte versucht, die militärische Stärke der Hisbollah zu schwächen, doch die Organisation konnte durch internationale Einnahmen immer wieder aufrüsten. Nun verfolgt Israel einen neuen Ansatz: „Wir greifen das Portemonnaie der Hisbollah an“, erklärt Mark Dubowitz von der Foundation for Defense of Democracies.
Der Plan: Ohne Finanzmittel wird es der Hisbollah schwerer fallen, ihre Macht zu erhalten und ihre militärischen Verluste zu kompensieren.
Die Angriffe auf AQAH und die Infrastruktur der Hisbollah sollen gezielt das Vertrauen der Bevölkerung in die Organisation erschüttern. Es ist ein riskantes Unterfangen, das den Libanon in eine noch tiefere Krise stürzen könnte. Doch für Israel ist klar: Ohne die milliardenschweren Finanzquellen könnte der Einfluss der Hisbollah langfristig gebrochen werden.