Braunschweig hat gesprochen – und zwar deutlich
Zehn Jahre nach dem Auffliegen des Dieselbetrugs hat die Justiz ein Zeichen gesetzt: Zwei ehemalige VW-Manager wandern ins Gefängnis. Zwei weitere kommen mit Bewährungsstrafen davon.
Was wie ein juristischer Schlussstrich wirkt, ist in Wahrheit nur ein weiterer Akt in einem der größten Wirtschaftsskandale Deutschlands – und einer, der tiefer wirkt als jeder Bußgeldbescheid.
Vier Schuldsprüche – aber nur zwei Haftbefehle
Das Landgericht Braunschweig sah es als erwiesen an, dass die vier früheren Führungskräfte maßgeblich in die systematische Manipulation von Dieselmotoren verwickelt waren – entweder durch aktive Beteiligung oder durch jahrelanges Wegschauen.
Jens Hadler, einst Leiter der Dieselmotoren-Entwicklung, erhielt mit viereinhalb Jahren Freiheitsstrafe die härteste Sanktion. Auch Hanno Jelden, Ex-Leiter der Antriebstechnik, muss mit zwei Jahren und sieben Monaten Haft rechnen. Beide Strafen sollen ohne Bewährung vollstreckt werden.
Der frühere VW-Entwicklungsvorstand Heinz-Jakob Neußer, der damals direkt unter dem Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn arbeitete, wurde zu einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung verurteilt.
Ein weiterer Abteilungsleiter kam mit einer ebenfalls zur Bewährung ausgesetzten Strafe von einem Jahr und zehn Monaten davon.
Betrug in besonders schwerem Fall
Was die Kammer als „besonders schweren Betrug“ wertete, ist in Wahrheit kaum in Zahlen zu fassen: Millionen Dieselfahrzeuge wurden mit einer Software ausgestattet, die auf dem Prüfstand gesetzeskonforme Abgaswerte vorgaukelte – im realen Fahrbetrieb aber um ein Vielfaches über den Grenzwerten lag. Kunden, Händler, Aufsichtsbehörden – alle wurden systematisch getäuscht.

Ein Jahrhundertprozess – 175 Verhandlungstage, 150 Zeugen, 75.000 Seiten
Der Aufwand, mit dem das Verfahren betrieben wurde, unterstreicht die Tragweite. Über dreieinhalb Jahre hinweg verhandelte die 6. Strafkammer fast ununterbrochen.
Die Anklageschrift allein umfasste 400 Seiten. Dutzende Sachverständige und Zeugen wurden gehört, interne Mails, Entwicklerdokumente und Protokolle ausgewertet. Ein Prozess, wie ihn die Bundesrepublik in dieser Form noch nicht erlebt hatte.
Winterkorn bleibt ein Schatten über dem Verfahren
Auffällig: Der ranghöchste Verantwortliche, Ex-Vorstandschef Martin Winterkorn, fehlte in diesem Prozess. Sein Verfahren wurde wegen gesundheitlicher Probleme abgetrennt – und ist aktuell ausgesetzt.
Damit bleibt ausgerechnet der Mann, unter dessen Führung die Abgasmanipulationen zum System wurden, (vorerst) ohne Schuldspruch. Ein Umstand, der in der Öffentlichkeit längst für Stirnrunzeln sorgt.
Verteidigung wollte Freisprüche – das Gericht folgte nicht
Drei Freisprüche und eine Verwarnung – das war die Linie der Verteidigung. Doch das Gericht ließ sich nicht überzeugen. Die Spuren der Täuschung waren zu klar, das Mitwissen der Angeklagten zu umfassend.
Dass die illegalen Abschalteinrichtungen nicht nur geduldet, sondern in Teilen mitentwickelt wurden, stand für die Kammer außer Zweifel.
Mehr als 30 Milliarden Euro Schaden
Für Volkswagen war der Dieselbetrug nicht nur ein juristisches, sondern auch ein wirtschaftliches und gesellschaftliches Erdbeben. Weltweit musste der Konzern über 30 Milliarden Euro an Bußgeldern, Entschädigungen und Rückstellungen leisten.
Die Marke „Made in Germany“ bekam Kratzer, die Vertrauensbasis zur Politik und zu den Kunden litt massiv. Auch Jahre später ist VW noch mit Altlasten beschäftigt – in Form von Zivilklagen, Reputationsverlusten und Marktanteilsrückgängen in kritischen Regionen.
Ein Urteil mit Signalwirkung – und offenen Fragen
Das Braunschweiger Urteil schafft Fakten – aber keine Gerechtigkeit im umfassenden Sinne. Es bleibt die Frage, wie ein solch systematischer Betrug über Jahre hinweg unentdeckt bleiben konnte.
Wer wusste wann was? Und warum blieben frühzeitige Konsequenzen aus? Die Antworten darauf bleiben auch nach diesem Mammutprozess vage.
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