Mit entschlossenem Blick und einem symbolischen Sicherheitshelm in der Hand betrat Friedrich Merz, CDU-Chef und Kanzlerkandidat, die Bühne der Betriebsrätekonferenz in Bochum.
Doch was folgte, war keine Ansprache des Schulterschlusses, sondern eine grundsätzliche Infragestellung der deutschen Strategie für klimafreundlichen Stahl.
„Ich glaube nicht an den schnellen Wechsel hin zu wasserstoffbetriebenen Stahlwerken“, erklärte Merz unverblümt.
Die Kosten seien enorm, der benötigte grüne Wasserstoff schlicht nicht verfügbar.
Diese Aussagen, vorgetragen vor den Vertretern von Thyssenkrupp und Gewerkschaften, entfachten eine Welle der Empörung. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bezeichnete Merz‘ Worte als „Schlag ins Gesicht der Beschäftigten“ und warf ihm „wirtschaftspolitische Verantwortungslosigkeit“ vor. „Ohne grünen Stahl gibt es keine Zukunft für die deutsche Industrie“, so Habeck weiter.
Kostenexplosion und Infrastrukturdefizite
Die Umstellung auf Wasserstoff soll die Stahlproduktion klimafreundlicher machen. Aktuell emittiert die Branche fast 6 Prozent des deutschen CO₂-Ausstoßes.
Doch der grüne Wandel hat seinen Preis: Bis zu 300 Euro pro Tonne Stahl könnten die Kosten steigen, was die internationale Wettbewerbsfähigkeit massiv untergräbt.
Allein Thyssenkrupp plant Investitionen von über zwei Milliarden Euro für die neue Direktreduktionsanlage, die langfristig mit Wasserstoff betrieben werden soll.
Doch woher der Wasserstoff kommen soll, bleibt fraglich. Deutschland importiert derzeit einen Großteil seines Energieträgers, und der Aufbau einer zuverlässigen Wasserstoffinfrastruktur hinkt hinterher.
„Wir sehen erhebliche Verzögerungen“, räumte auch Thyssenkrupp Steel Europe ein. Vorläufig wird die neue Anlage mit Erdgas betrieben – was lediglich eine CO₂-Reduktion von 50 bis 60 Prozent ermöglicht.
Grüne Industrie im internationalen Wettbewerb
Robert Habeck sieht dennoch keine Alternative. „Der internationale Markt wird klimafreundliche Produkte fordern“, erklärte er. „Ohne grünen Stahl droht der Verlust von Arbeitsplätzen und ganzer Wertschöpfungsketten.“
Unterstützt wird diese Einschätzung von Gewerkschaften wie der IG Metall. „Wir können uns keine Abhängigkeit von Stahlimporten aus China leisten“, warnte Jürgen Kerner, zweiter Vorsitzender der IG Metall.
Auch die Automobilbranche drängt auf den Wandel. Unternehmen wie BMW, Volkswagen und Mercedes-Benz haben bereits Vereinbarungen über die Lieferung von CO₂-reduziertem Stahl getroffen. „Unsere Kunden verlangen nachweisbare Fortschritte bei der Emissionsreduktion“, so ein Sprecher von Mercedes-Benz.
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CCS als Alternative?
Friedrich Merz hingegen plädiert für eine andere Lösung: die Abscheidung und Speicherung von CO₂ (CCS). Diese Technologie wird bisher in Deutschland kaum genutzt und stößt bei Grünen und Umweltverbänden auf Skepsis.
„CCS ist keine nachhaltige Lösung, sondern eine Verschiebung des Problems“, erklärte ein Sprecher von Greenpeace.
Doch auch aus wissenschaftlicher Sicht gibt es Vorbehalte. „Die Technik ist teuer und komplex“, sagte Kerstin Maria Rippel von der Wirtschaftsvereinigung Stahl. „Es wäre illusorisch, sie kurzfristig flächendeckend einzusetzen.“
Politik in der Pflicht
Die Stahlbranche erwartet klare Signale von der Politik. Neben einer verlässlichen Wasserstoffversorgung fordern Unternehmen subventionierte Energiepreise und einen wirksamen Außenschutz gegen billigere Importe.
„Ohne staatliche Unterstützung ist die Transformation nicht zu stemmen“, sagte Tekin Nasikkol, Betriebsratschef von Thyssenkrupp.
Merz versicherte, er werde sich für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Stahlindustrie einsetzen. Doch die Gewerkschaften bleiben skeptisch. „Es reicht nicht, nur Probleme aufzuzeigen“, sagte Kerner. „Wir brauchen eine klare Strategie und Taten.“