Der jüngste Richterspruch aus Karlsruhe bringt Bewegung in die bislang starren Regelungen der ärztlichen Zwangsmaßnahmen. Spritzen und Medikamente gegen den Willen der Patienten zu verabreichen, bleibt zwar ein sensibles Thema, doch sieht das Bundesverfassungsgericht Handlungsbedarf, die bis dato ausschließlich für Krankenhäuser geltenden Vorgaben zu überdenken.
Traditionell durften solche Maßnahmen nur im Krankenhaus erfolgen - Pflegeheime, ambulante Zentren oder gar das eigene Zuhause waren ausgeschlossen. Das Bundesverfassungsgericht kritisierte dieses starre Korsett und erklärte es teilweise für verfassungswidrig. Der immense Schutz, den Krankenhäuser bieten sollen, sei nicht immer zwingend nötig, um dem gesetzlichen Ultima-Ratio-Prinzip zu folgen.
Im Fokus der Entscheidung stand ein Fall aus Nordrhein-Westfalen. Die betroffene Frau, unter paranoider Schizophrenie leidend, musste zwangsläufig per Kliniktransport behandelt werden, was oft retraumatisierende Fixierungen erforderte. Dem Bundesgerichtshof zufolge steht eine Behandlung allein im Krankenhaus im Wiederspruch zu Artikel 2 des Grundgesetzes, das die körperliche Unversehrtheit schützt.
Richter Stephan Harbarth stellte klar: Der Verfassungsauftrag, körperliche Unversehrtheit zu schützen, erfordert keine exklusive Bindung an Krankenhäuser. Dieses Urteil verpflichtet den Gesetzgeber, bis Ende 2026 eine neue Regelung auszuarbeiten, welche medizinische Eingriffe auch außerhalb von Krankenhäusern ermöglicht - mit der Maßgabe, dass die Einrichtung einen ähnlichen medizinischen Standard aufweist.
Die angestoßene Gesetzesänderung sorgt für kontroverse Meinungen. Während Organisationen der Selbsthilfegruppe Bedenken zu einem Vertrauensverlust zum Ausdruck bringen, sieht Andrea Gerlach, die Leiterin des betroffenen Wohnverbundes, eine Chance zur Reduktion von Zwang und Leid für die Patientin.