Ein normaler Arbeitstag – bis zur Eskalation
Ein Routineeinsatz in der Notaufnahme, ein Patient, der behandelt werden will – doch plötzlich eskaliert die Situation. Genau das erlebte der Notfallmediziner Tobias L. (Name geändert), als ein Patient in der Leipziger Park-Klinik plötzlich ausrastete, ihn beschimpfte, nach ihm spuckte und sogar sein Handy nach ihm warf.
Der Grund: Ihm wurde ein bestimmtes Medikament verweigert.
„Ich habe sofort den Sicherheitsdienst gerufen, aber der Mitarbeiter erklärte mir, dass er nur für die Objektbewachung zuständig sei, nicht für unseren Schutz“, berichtet der Arzt.
Die Klinik widerspricht dieser Darstellung. Doch Tobias L. ist mit seinem Erlebnis nicht allein.
Immer wieder werden Ärzte, Pfleger und Rettungskräfte in Deutschland Opfer von Gewalt durch Patienten – ein Problem, das in den letzten Jahren rasant zugenommen hat. Besonders dramatisch: Viele Kliniken haben keinerlei funktionierende Schutzmechanismen für ihr Personal.
Gewalt gegen Ärzte und Pfleger eskaliert
Die Zahlen sind alarmierend. Laut einer Blitzumfrage der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) unter 250 Kliniken gaben drei von vier Krankenhäusern an, dass Übergriffe auf ihr Personal in den letzten fünf Jahren zugenommen haben.
Dabei reicht das Spektrum von verbalen Beleidigungen bis hin zu brutalen körperlichen Angriffen. In Berlin wurde in der Silvesternacht ein Arzt von mehreren Männern wegen angeblich zu langer Wartezeiten attackiert. In Sachsen-Anhalt griff ein Patient im Januar einen Notarzt mit einem Messer an und verletzte ihn schwer.
Besonders Notaufnahmen und Rettungsdienste sind betroffen, da hier oft unter hohem Stress gearbeitet wird – und sich Patienten oder deren Angehörige schnell provoziert fühlen. Doch auch in normalen Klinikstationen ist das Risiko hoch. „Verbale Angriffe und Drohungen sind fast schon alltäglich“, sagt ein Klinikmitarbeiter.
Sicherheitsmaßnahmen? Oft Fehlanzeige
Die Reaktionen der Kliniken auf diese Bedrohungslage sind unterschiedlich. Manche Krankenhäuser investieren in Sicherheitsdienste, bessere Zugangsregelungen oder Deeskalationstrainings für ihr Personal.
- Asklepios gibt allein in seinen Hamburger Kliniken jährlich zehn Millionen Euro für Sicherheitsmaßnahmen aus.
- Die Berliner Charité setzt auf verbesserte Türschließanlagen und regelmäßige Schulungen für Mitarbeiter.
- Vivantes investiert drei Millionen Euro pro Jahr in Wachschutz – muss diese Kosten jedoch selbst tragen.
Doch längst nicht alle Krankenhäuser sind so gut aufgestellt. Laut einer Umfrage des Marburger Bundes gibt nur die Hälfte der befragten Ärzte an, dass es in ihren Kliniken angemessene Schutzmaßnahmen gibt. Die andere Hälfte fühlt sich weitgehend ungeschützt.
„Viele Krankenhäuser haben überhaupt kein Konzept, wie sie mit Gewalt gegen das Personal umgehen sollen", kritisiert ein Sprecher des Ärzteverbandes. Besonders problematisch: Die Kosten für Sicherheitsmaßnahmen werden von den Ländern oder Krankenkassen nicht übernommen – die Kliniken müssen sie selbst tragen.
Justiz und Politik in der Kritik
Doch nicht nur die Kliniken stehen in der Verantwortung. Auch Politik und Justiz werden zunehmend für ihr zögerliches Vorgehen kritisiert.
- Justiz ohne Abschreckung: Ärzteverbände beklagen, dass Angriffe auf medizinisches Personal oft folgenlos bleiben. Täter werden selten konsequent bestraft, viele Verfahren wegen Bedrohung oder Körperverletzung werden eingestellt – so auch im Fall von Tobias L. aus Leipzig. Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf eine Anklage, weil der Täter möglicherweise schuldunfähig war.
- Schutzgesetze fehlen: Zwar gibt es für Rettungskräfte und Polizei bereits schärfere Schutzgesetze, doch für medizinisches Personal in Kliniken gelten oft nur die normalen Strafgesetze. Experten fordern eine härtere Bestrafung von Angriffen auf Ärzte und Pflegekräfte.
- Politische Untätigkeit: Auch die Politik reagiert nur schleppend auf das Problem. Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen räumt ein, dass viele Kliniken bislang keine ausreichenden Schutzkonzepte haben. Doch geplante Maßnahmen könnten durch die anstehenden Neuwahlen ins Stocken geraten.
Ein weiteres Problem: Die wachsende Zahl der Übergriffe wird auch mit gesellschaftlichen Spannungen in Verbindung gebracht. Der CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge kritisiert, dass die Regierung das Thema Migration in diesem Zusammenhang zu lange ignoriert habe.
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