Ein Projekt, ein Aktienkauf – und eine brisante Mail
Am 12. Juni 2023 wollte Hugo-Boss-Chef Daniel Grieder auf dem „Investor Day“ groß auftrumpfen. Umsatz auf 5 Milliarden, zweistellige EBIT-Marge, die Aktie Richtung Mond – so stand es in einer E-Mail, die Grieder drei Monate zuvor an den umstrittenen österreichischen Unternehmer René Benko schickte.
Mit dem Betreff: „Tango“ – dem internen Codenamen für ein ehrgeiziges Investmentprojekt, das Grieder gemeinsam mit Benko plante. Ziel: eine neue Beteiligungsgesellschaft für Modeunternehmen. Und mittendrin: ein möglicher Einstieg als Ankeraktionär bei Hugo Boss selbst.
Was Grieder damals noch nicht wusste: Diese Mail würde später der Ausgangspunkt eines juristischen Minenfelds werden. Denn kurz vor der geplanten Strategieverkündung hatte er – gemeinsam mit seiner Ehefrau – noch Boss-Aktien gekauft.
Und das, obwohl der Inhalt der Präsentation zu diesem Zeitpunkt nicht öffentlich war. Ein klassischer Verdachtsmoment auf Insiderhandel. Und doch: Die internen und externen Untersuchungen verliefen im Sande.
Was wussten Noerr und Freshfields wirklich?
Zur Klärung des Verdachts wurden zwei der renommiertesten Wirtschaftskanzleien Deutschlands eingeschaltet: Noerr und Freshfields Bruckhaus Deringer.
Doch was auf den ersten Blick nach entschlossener Aufklärung klingt, entpuppt sich im Rückblick als erstaunlich lückenhaft. Denn wie mehrere mit dem Vorgang vertraute Personen berichten, lag der E-Mail-Verkehr zwischen Grieder und Benko den Prüfern nie vor. Die zentrale Mail – gelöscht. Das Endgerät? Zwar gesichert, aber offenbar nicht forensisch untersucht.
Eine Sprecherin von Hugo Boss bestätigte gegenüber der InvestmentWeek, dass Grieder die Mail im März 2023 verschickt habe. Ob sie den Anwälten vorlag? Dazu – Schweigen. Ob Grieder sie aktiv gelöscht hat?

Ebenfalls keine Antwort. Die Sache wirkt wie aus einem Drehbuch – nur dass es hier nicht um Fiktion geht, sondern um millionenschwere Aktiengeschäfte und die Frage nach persönlicher Bereicherung auf Kosten der Integrität des Kapitalmarkts.
Aufsichtsrat drückt beide Augen zu
Besonders heikel: Die Mehrheit des Aufsichtsrats soll sich aktiv gegen eine Auswertung von Grieders Gerät ausgesprochen haben. Interne Mails des Vorstandsvorsitzenden seien zu sensibel, hieß es.
Nur eine kleine Minderheit im Gremium sprach sich laut Berichten dafür aus, die Untersuchung in der Tiefe zu führen, wie es in vergleichbaren Fällen längst Standard wäre – besonders in DAX- und MDAX-Konzernen.
Und so blieb es bei einer Bewertung auf Basis „verfügbarer Informationen“. Im Geschäftsbericht 2024 heißt es lapidar, die Vorwürfe seien nach „externer rechtlicher Bewertung“ unbegründet. Grieder erhielt den vollen Vertrauensbeweis des Aufsichtsrats. Eine bemerkenswerte Entscheidung – besonders angesichts der fehlenden Grundlage.
Staatsanwaltschaft: Bitte nochmal schicken
Noch absurder wird es bei den Ermittlungsbehörden. Die Staatsanwaltschaft Tübingen, zuständig für den Fall, scheint die entscheidende Mail bis heute nicht gesehen zu haben.
Auf Nachfrage der InvestmentWeek bat ein Sprecher um die Übersendung des Dokuments. Sollte das stimmen, stellt sich die Frage: Was genau wurde in diesem Fall eigentlich untersucht?
Dass Grieder eine Teilkürzung seiner Bonuszahlung in Höhe von 75.000 Euro hinnehmen musste – offiziell zur Kompensation der Anwaltskosten – wirkt vor diesem Hintergrund fast zynisch. Kein Schuldeingeständnis, aber eine Geste. Oder besser: ein Ablass.
Ein Fall, der Fragen offenlässt
Der Fall „Tango“ ist keine bloße Personalie – er ist ein Gradmesser für Corporate Governance in einem deutschen Börsenunternehmen. Die Löschung zentraler Kommunikation, unterlassene digitale Forensik, ein Aufsichtsrat, der nicht hinsehen will – und eine Chefetage, die auf Zeit spielt.
All das in einem Konzern, der an der Börse Vertrauen braucht – nicht nur in seine Marke, sondern auch in seine Führung.
Der Kapitalmarkt mag manches verzeihen. Doch wenn zentrale Dokumente verschwinden und Kontrollgremien nicht kontrollieren, dann wird aus einem Compliance-Problem ein kulturelles. Und Hugo Boss steht damit nicht allein.