Kevin G.* arbeitete, bis sein Körper nicht mehr konnte. „Ich bin süchtig – nach Anerkennung und Leistung“, sagt der 41-Jährige, der anonym bleiben möchte. Seine Geschichte ist kein Einzelfall.
In Deutschland betrifft Arbeitssucht laut Studien etwa ein Zehntel aller Berufstätigen, doch die Krankheit bleibt oft unerkannt. Denn wer hart arbeitet, wird selten kritisiert – eher gefeiert.
„Arbeit war meine Droge“
Schon als Kind war Kevin G.* darauf konditioniert, durch Leistung Anerkennung zu bekommen. Sein Vater, ein Kernphysiker, zwang ihn, während der Sommerferien die Schulbücher für das kommende Jahr durchzuarbeiten.
Auch beim Klavierspielen und in der Leichtathletik ging es nur um Leistung – Freizeit gab es kaum. „Alles drehte sich darum, der Beste zu sein“, erinnert sich Kevin. Dieses Verhaltensmuster prägte ihn sein Leben lang.
Das extreme Arbeitspensum, das er im Architekturstudium bewältigte, war für ihn nichts Ungewöhnliches. Er verbrachte oft ganze Wochen in der Universität, schlief dort, putzte sich die Zähne am Waschbecken und arbeitete weiter.
„Ich habe mir angewöhnt, Tag und Nacht zu arbeiten, um meinen Ansprüchen zu genügen“, erzählt er.
Doch damit nicht genug: Um mehr zu schaffen, griff er zu Kokain. „Es war ein Mittel, um weniger schlafen und essen zu müssen.“
Drei Merkmale der Arbeitssucht
Für den Psychologen Stefan Poppelreuter sind drei Punkte entscheidend, um Arbeitssucht zu erkennen: die totale Fixierung auf die Arbeit, das Bedürfnis nach immer mehr und die körperlichen Entzugserscheinungen, wenn man nicht arbeiten kann.
„Workaholics haben einen Perfektionismus, der häufig vollkommen übertrieben ist“, erklärt Poppelreuter. Sie neigen dazu, sich und andere unter Druck zu setzen – bis zur völligen Erschöpfung.
Kevin G.* spürte, dass sein Verhalten destruktiv war, aber er konnte nicht aufhören. „Die Konkurrenz war härter, und ich hatte das Gefühl, immer noch mehr tun zu müssen, um zu überleben.“
Seine Jobs als Architekt waren herausfordernd und prestigeträchtig, aber der Druck, immer weiter zu arbeiten, nahm zu. Irgendwann nutzte er die Arbeit, um andere Lebensbereiche zu verdrängen. „Arbeit wurde meine Droge“, sagt er.
Arbeitssucht bleibt oft unerkannt
Was Arbeitssucht so gefährlich macht, ist die Tatsache, dass sie selten als Problem erkannt wird. Im Gegenteil: Wer viel arbeitet, wird oft dafür bewundert.
„Du wirst gefeiert, wenn du dich totarbeitest“, sagt Kevin G.*.
Mit der Zeit merkte er jedoch, dass die Anerkennung, die er durch seine exzessive Arbeit bekam, ihn nicht glücklich machte. Es wurde immer schwieriger, den steigenden Druck zu bewältigen. „Feierabend hat mich zerstört“, erzählt er. In den Momenten, in denen er nicht arbeiten konnte, setzten bei ihm Nervosität und Angst ein – klassische Entzugserscheinungen.
Der Wendepunkt
Nach Jahren der Überarbeitung und Drogenabhängigkeit zog Kevin G.* schließlich die Reißleine. Er begab sich in eine Therapie und brach mit seinem alten Leben als Architekt. Heute arbeitet er in einer Sozialeinrichtung – als Geschäftsführer. „Das Muster ist geblieben, aber ich habe gelernt, es zu kontrollieren“, sagt er.
Doch die Arbeitssucht hat tiefe Spuren hinterlassen. „Liebe und Leistung sind bei mir nach wie vor eng verknüpft“, gibt er zu. Er sei weiterhin in Therapie, um die emotionalen Ursachen seiner Sucht zu bewältigen.
Kevin G.s* Geschichte ist eine Mahnung, dass Arbeitssucht ernst genommen werden muss – und dass hinter der Fassade des erfolgreichen Arbeitstiers oft ein tiefes Leiden steckt. Denn auch wenn er heute ein „normales“ Leben führt, bleibt ein emotionaler Schatten:
„Wenn ich nicht arbeite, kommen bis heute Selbstvorwürfe und Ängste hoch.“
*Name von der Redaktion geändert