Carrageen – Ein unterschätztes Risiko in Lebensmitteln?
Berlin. Ob in Pudding, pflanzlicher Milch oder Eiscreme – Carrageen (E407) ist in zahlreichen Lebensmitteln enthalten. Der Zusatzstoff, der aus Rotalgen gewonnen wird, dient als Gelier- und Verdickungsmittel. Doch neue Studien werfen Zweifel an seiner Harmlosigkeit auf.
„Unsere Forschung deutet darauf hin, dass Carrageen die Barrierefunktion des Darms beeinträchtigen kann“, sagt Robert Wagner, Endokrinologe am Deutschen Diabetes Zentrum. Gemeinsam mit einer Forschergruppe untersuchte er die Auswirkungen von Carrageen auf den menschlichen Körper. Besonders alarmierend: Der Stoff könnte das Risiko für Entzündungen und chronische Erkrankungen erhöhen.
Ein Zusatzstoff unter Beobachtung
Carrageen ist in der EU ohne Mengenbeschränkung zugelassen, solange der Konsum 750 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht nicht überschreitet. Doch was als sicher gilt, wird zunehmend infrage gestellt.
Studien zeigen, dass Carrageen unter den Bedingungen im menschlichen Magen in Abbauprodukte zerfallen kann, die in Tierexperimenten mit Darmschäden und erhöhten Blutzuckerwerten in Verbindung gebracht wurden.
„Die Frage ist, ob diese Effekte auch beim Menschen auftreten“, erklärt Wagner. Eine von ihm mitgeleitete klinische Studie deutet an, dass Carrageen die Schleimschicht und die Zellbarriere im Darm leicht durchlässiger macht.
Das sogenannte „Leaky Gut Syndrom“ könnte die Folge sein – eine Bedingung, die das Eindringen von Mikroorganismen und Toxinen in den Blutkreislauf erleichtert und Entzündungsreaktionen fördert.
Gefahr für bestimmte Risikogruppen
Besonders besorgniserregend sind die Erkenntnisse für Menschen mit chronischen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. „Diese Patienten könnten durch den Konsum von Carrageen zusätzlichen Schaden nehmen, da ihre Darmschleimhaut ohnehin geschwächt ist“, sagt Norbert Stefan, Diabetologe am Helmholtz Zentrum München.
Auch stark übergewichtige Menschen sind gefährdet. Studien legen nahe, dass Übergewicht mit einer unterschwelligen Entzündung einhergeht, die durch Carrageen verstärkt werden könnte. Zudem gab es Hinweise darauf, dass Carrageen die Insulinsensitivität von Leberzellen beeinflusst und möglicherweise das Risiko für Typ-2-Diabetes erhöht.
Langzeitfolgen nicht ausgeschlossen
Die aktuelle Studie, deren Ergebnisse im Fachjournal BMC Medicine veröffentlicht wurden, untersuchte 20 gesunde Männer in einem doppelblinden Cross-over-Design. Während der Carrageen-Phase zeigten die Probanden Anzeichen einer erhöhten Darmdurchlässigkeit. Zudem wurden bei übergewichtigen Teilnehmern leicht erhöhte Entzündungsmarker im Blut festgestellt.
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„Es handelt sich um subtile Veränderungen, aber sie könnten langfristig bedeutend sein“, warnt Wagner. „Vor allem Menschen, die regelmäßig große Mengen verarbeiteter Lebensmittel konsumieren, sollten achtsam sein.“
Was sagt die Lebensmittelindustrie?
Die Lebensmittelbranche sieht bisher keinen akuten Handlungsbedarf. Carrageen ist günstig, vielseitig und einfach einzusetzen. Dennoch haben Bioverbände wie Demeter und Alnatura den Stoff bereits verbannt. Auch bei Verbrauchern wächst das Bewusstsein für mögliche Risiken.
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) plant für 2025 eine erneute Überprüfung der Sicherheit von Carrageen. Ob neue Studienergebnisse zu strengeren Vorschriften führen, bleibt abzuwarten.