06. Oktober, 2024

Politik

Frankreich vor politischer Zäsur: Merkwürdige Koalitionen und mögliche Stillstände

Frankreich vor politischer Zäsur: Merkwürdige Koalitionen und mögliche Stillstände

Die letzte Runde der Parlamentsneuwahlen in Frankreich lässt aufhorchen. Es steht eine Zäsur in der politischen Landschaft des Nachbarlands an: Der drohende Rechtsruck und die potenzielle Regierungsbeteiligung der Rechtsnationalen von Marine Le Pen sind derzeit Gesprächsthema Nr. 1. Auf der berühmten Champs-Elysées bereiten sich bereits zahlreiche Geschäfte auf mögliche Ausschreitungen vor und haben sicherheitshalber ihre Schaufenster verbarrikadiert. Auch die Polizei ist im Großeinsatz: 30.000 Sicherheitskräfte sind in Alarmbereitschaft, davon allein 5000 in Paris und seinen Vororten, wie Innenminister Gérald Darmanin verlauten ließ. Die Wahlbeteiligung ist signifikant hoch: Bereits um 17 Uhr hatten 59,71 Prozent der Wähler ihre Stimme abgegeben, gemäß Angaben des Innenministeriums. Im Vergleich zum Vorjahr, in dem zu diesem Zeitpunkt nur 38,11 Prozent gewählt hatten, und der Beteiligung von 66,71 Prozent im ersten Wahlgang, deutet alles auf die höchste Wahlbeteiligung seit 1997 hin. Entscheidender ist die Frage, ob Präsident Emmanuel Macron durch diese Neuwahl den Rechtsnationalen den Weg zur Macht geebnet hat. Sollten Marine Le Pen und ihr Rassemblement National trotz aktuellen Umfragen, die keine absolute Mehrheit vorsehen, die Mehrheit erringen, hätte dies weitreichende Auswirkungen auf die europäische Politik. Momentan ist mit etwa 205 bis 240 Sitzen für das RN und seine Verbündeten zu rechnen – eine erhebliche Steigerung im Vergleich zur aktuellen Sitzverteilung, aber nicht genug für die absolute Mehrheit von 289 Sitzen. Um von einer Niederlage zu sprechen, ist es noch zu früh, aber Präsident Macrons Mitte-Lager befindet sich laut Umfragen in einer prekären Lage. Ein solches Ergebnis könnte Macron, der einst als Hoffnungsträger eines starken Europas galt, sowohl im Inland als auch international an politischem Einfluss verlieren lassen. Die Premierministerfrage bleibt offen, aber sollte das RN wider Erwarten doch die absolute Mehrheit erreichen, müsste Macron möglicherweise RN-Chef Jordan Bardella als Premierminister ernennen – eine Konstellation, die seit 1997 nicht mehr vorkam. Eine Regierungsbildung könnte sich auch durch den internen Machtkampf weiter verzögern. Sollte das RN eine relative Mehrheit erhalten, könnte es versuchen, Abgeordnete der konservativen Républicains auf seine Seite zu ziehen, um eine handlungsfähige Mehrheit zu erreichen. Der Parteivorsitzende der LR, Éric Ciotti, hatte schon im Vorfeld eine Zusammenarbeit mit dem RN angedeutet, ein Vorhaben, das jedoch innerhalb seiner Partei umstritten ist. Sollte der Schulterschluss der anderen Parteien gegen das RN gelingen, droht Frankreich ein politischer Stillstand. Die wiedererstarkten Sozialisten und andere Parteien lehnen eine Regierungszusammenarbeit kategorisch ab. Eine mögliche Übergangsregierung oder Expertenregierung könnte in diesem Szenario allerdings kaum neue gesetzliche Vorhaben durchsetzen. Präsident Macron hatte nach dem überraschenden Sieg von Le Pens Rassemblement National bei der Europawahl die Nationalversammlung aufgelöst und Neuwahlen angesetzt. Die französische Nationalversammlung ist an der Gesetzgebung beteiligt und kann die Regierung stürzen.