Finfluencer unter der Lupe: Wie Social Media die Aktienkultur verändert
Influencer mit Einfluss: 24 % der befragten Finfluencer verdienen über 50.000 € jährlich – bei gleichzeitig fehlender Branchenregulierung.

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Finfluencer unter der Lupe: Wie Social Media die Aktienkultur verändert

Die InvestmentWeek hat 106 deutschsprachige Finfluencer auf Instagram befragt – exklusiv. Die Ergebnisse zeigen: Zwischen Bildungsanspruch, Geschäftsmodell und Regulierungsvakuum beginnt eine neue Ära der Finanzkommunikation.

Die neue Finanzelite kommt nicht von der Börse

Sie heißen @finanzglück, @etf_queen oder @aktiengram und erreichen Hunderttausende. Was einst in Zeitungsbeilagen und Finanzratgebern verhandelt wurde, läuft heute im Hochformat auf Smartphones: Finanzwissen, serviert in Reels und Storys.

Die InvestmentWeek hat in der bislang umfassendsten Erhebung dieser Art 106 deutschsprachige Finanz-Influencer auf Instagram befragt – und liefert damit erstmals belastbare Daten zur Szene.

Die Ergebnisse zeigen: Finfluencer sind längst keine Hobby-Blogger mehr, sondern Akteure im wirtschaftlichen Ökosystem. Fast ein Viertel verdient mehr als 50.000 € im Jahr – und sie haben Einfluss, den auch börsennotierte Unternehmen zunehmend ernst nehmen.

Finanzbildung oder Monetarisierung? Beides.

98 % der befragten Finfluencer geben an, ihren Followern Finanzwissen vermitteln zu wollen. Bildung ist der Kern des Selbstverständnisses – doch dahinter steht ein professioneller Betrieb. 74 % verdienen mit ihrer Tätigkeit Geld, über Affiliate-Links, Kooperationsposts oder eigene Produkte.

Bildung trifft Business: 98 % der Finfluencer wollen Finanzwissen vermitteln, doch 74 % verdienen daran – die Grenze zwischen Aufklärung und Produktwerbung verschwimmt.

Rund 38 % investieren täglich mehrere Stunden in Content-Recherche, ein Drittel arbeitet mit Assistenten oder freien Mitarbeitenden.

Was für Außenstehende oft nach Freizeitbeschäftigung aussieht, ist in Wahrheit ein Geschäftsmodell mit steiler Lernkurve – und nicht selten einer unternehmerischen Haltung. Viele Finfluencer sehen sich als Content-Entrepreneure mit gesellschaftlicher Mission.

Partnerschaften: IR trifft Instagram

57 % der befragten Influencer haben bereits bezahlte Kooperationen abgeschlossen. Besonders beliebt: Partnerschaften mit Finanzdienstleistern, etwa über Depot-Links, Robo-Advisor-Modelle oder ETF-Plattformen.

Auffällig: Nur 11 % arbeiten bislang direkt mit Investor Relations-Abteilungen börsennotierter Unternehmen zusammen – obwohl 70 % genau das künftig für wichtig halten.

Hier tut sich ein potenzielles Feld für börsennotierte Unternehmen auf. „Die Finfluencer sind ein Tor zu einer Zielgruppe, die wir über klassische IR-Kanäle kaum noch erreichen“, sagt Christoph Greitemann, IR-Manager bei der Deutschen Telekom. Auch Bechtle-IR-Chef Martin Link bestätigt:

„Wir sehen Finfluencer als wertvolle Brücke zwischen Kapitalmarkt und junger Öffentlichkeit.“

Qualitätsanspruch ja – Kontrolle nein

72 % der Influencer sprechen sich für freiwillige Qualitätsstandards aus – etwa für einen brancheninternen Pressekodex, Transparenzrichtlinien oder einheitliche Offenlegung von Werbung und Risiken.

Doch wenn es um staatliche Regulierung geht, überwiegt die Skepsis: Nur 41 % befürworten eine gesetzlich verpflichtende Zulassung bei der Bewerbung riskanter Finanzprodukte.

Zwischen Anspruch und Einfluss

Die Finanzszene auf Instagram ist kein homogener Block. Zwischen Selbstvermarktung und Bildungsauftrag, Reichweite und Relevanz, klafft eine Spannbreite, die klassische Akteure kaum überblicken.

Doch die Dynamik ist nicht zu leugnen: Über 30 % der befragten Influencer erreichen mehr als 50.000 Follower – viele haben eine höhere Sichtbarkeit als traditionelle Wirtschaftsmedien.

Was sie vereint, ist der Anspruch, über Geld zu sprechen – zugänglich, persönlich, visuell. Das bricht mit der alten Vorstellung, dass Finanzkommunikation nüchtern, männlich und komplex sein muss.

Mehr Standards, weniger Staat: 72 % der Finfluencer fordern freiwillige Qualitätsrichtlinien – eine Mehrheit lehnt jedoch staatliche Kontrolle ab.

Börsenkommunikation im Umbruch

Dass börsennotierte Unternehmen noch zögerlich mit Finfluencern arbeiten, liegt oft nicht an mangelndem Interesse, sondern an Unsicherheit: Welche Inhalte sind zulässig? Wie lassen sich Transparenzpflichten mit Social-Media-Formaten vereinen? Und wie vermeidet man den Eindruck von „Werbung für Aktien“?

Die befragten Influencer fordern klare Regeln, aber keine Gängelung. Kooperationen müssten, so der Tenor, deutlich gekennzeichnet, inhaltlich unabhängig und frei von Kaufempfehlungen bleiben.

Gleichzeitig wünschen sich viele mehr Offenheit von Unternehmen – etwa durch eigene IR-Accounts auf Instagram oder LinkedIn, regelmäßige Q&A-Formate und visuell aufbereitete Geschäftsberichte.

Ein Spiegel für die Aktienkultur

Die Finfluencer haben die Aktienkultur in Deutschland verändert – ob man das gut findet oder nicht. Sie erreichen junge Anleger, brechen Tabus, vereinfachen komplexe Zusammenhänge – und setzen damit Impulse, die auch politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger nicht ignorieren sollten.

„Wenn jemand täglich 100.000 Menschen erklärt, was ein ETF ist – dann prägt das das Verständnis von Kapitalmarkt mehr als ein Zeitungsartikel“, sagt Paradots-CEO Eloy Barrantes, der die Studie mitkonzipiert hat.

Finfluencer sind gekommen, um zu bleiben

Die Ergebnisse der InvestmentWeek-Studie zeigen eine junge Branche im Übergang: vom Hobbyprojekt zur professionellen Kommunikationsmacht. Die Szene braucht Orientierung – aber keine Überregulierung. Sie bietet Chancen für Unternehmen – aber nur bei Augenhöhe und Transparenz.

Und sie ist vor allem eines: ein Weckruf für alle, die glauben, Finanzkommunikation finde noch immer nur im Geschäftsbericht statt.

Geldtipps auf Social-Media: Der wahre Gewinn der Finfluencer
Hohe Rendite mit kleinem Aufwand ist die Botschaft vieler Finfluencer. Aber statt großer Gewinne verlieren viele Follower ihr investiertes Geld.