In Anbetracht der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen steht die Europäische Zentralbank (EZB) vor einer spannungsgeladenen Entscheidung. Yannis Stournaras, Mitglied des EZB-Rats und Chef der griechischen Zentralbank, befürwortet eine Strategie kontinuierlicher Zinssenkungen. Nach seiner Einschätzung sollte die EZB bei jeder Sitzung die Kreditkosten so lange senken, bis das sogenannte "neutrale Zinsniveau" erreicht ist – ein schwer fassbares Konzept, das derzeit bei etwa 2% liegen soll.
Stournaras plädiert dafür, die Einlagezinsen bis Dezember schrittweise auf 3% zu senken, und schließt eine aggressive Zinssenkung von 50 Basispunkten nicht kategorisch aus. Zugleich zeigt er sich unsicher, wie die Märkte möglicherweise reagieren und welche Maßnahmen die US-amerikanische Federal Reserve ergreifen könnte.
Im Rahmen der letzten geldpolitischen Sitzung des Jahres rechnet die Mehrheit der Investoren und Analysten mit einem weiteren Viertelpunktschritt, als Reaktion auf ein stärker als erwartet abflauendes Inflationsniveau. Ein Rollout weiterer Zinssenkungen im Jahr 2025 wird ebenfalls erwartet, insbesondere angesichts der potentiellen wirtschaftspolitischen Auswirkungen einer möglichen Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus und dessen angedrohter Handelszölle.
In Bezug auf mögliche Handelshemmnisse warnte Stournaras, dass solche Zölle die europäische Wirtschaft schwächen und möglicherweise sogar in eine Rezession oder Deflation führen könnten.
EZB-Vizepräsident Luis de Guindos betonte kürzlich die Notwendigkeit weiterer Zinssenkungen, drängte jedoch auf Vorsicht angesichts der aktuellen Unsicherheiten. Trotz gestiegener Tariflöhne im dritten Quartal, die den stärksten Anstieg seit Einführung des Euros verzeichnen, erwarten Analysten eine Beruhigung dieser Trends im kommenden Jahr. Stournaras sieht dies als temporäre Erscheinung und nicht als dauerhaften Zustand.