Die Europäische Zentralbank (EZB) setzt ihren Kurs der Zinssenkungen fort. Wie EZB-Präsidentin Christine Lagarde erklärte, ist die Risikoeinschätzung bei der Inflation mittlerweile "zweiseitig". Lagarde äußerte sich nach der jüngsten Zinssenkung auf 3 % vor Journalisten in Vilnius und betonte, dass der Zinstrend eindeutig "abwärts" gehe. Die letzte Entscheidung sei keineswegs der Schlussstrich unter den Zinssenkungen.
In den vergangenen Quartalen war die Inflation stets mit einem Aufwärtsrisiko behaftet, das heißt, sie könnte höher ausfallen als prognostiziert. Nun jedoch gibt es gleichgewichtige Risiken in beide Richtungen, was eine grundlegende Veränderung der ökonomischen Perspektive bedeutet. Trotz der vier Zinssenkungen in der Vergangenheit bewertet die EZB die aktuellen Zinsen immer noch als wachstumshemmend.
Dies deutet darauf hin, dass eine neutrale geldpolitische Haltung - die weder das Wachstum bremst noch stimuliert - erst im nächsten Jahr erreicht werden könnte. Die Bestimmung dieses "neutralen" Zinspunktes gestaltet sich jedoch komplex, da er von verschiedenen, schwer zu identifizierenden Faktoren abhängt. Während Lagarde ein Zinsband von 1,75 % bis 2,5 % nannte, ist auch ein höherer Satz von bis zu 3 % im Gespräch.
Die europäische Wirtschaft kämpft weiterhin mit schwacher Wachstumsdynamik, was sowohl bei Verbrauchern als auch Unternehmen zu zögerlichem Ausgabeverhalten führt. Die jüngsten Prognosen der EZB gehen von einem leichten Wachstumssprung auf 1,1 % im nächsten Jahr aus. Allerdings könnten globale Konflikte, politische Unsicherheiten sowie die Möglichkeit einer erneuten Präsidentschaft von Donald Trump dies gefährden.
Analysten erwarten fortlaufende Zinssenkungen bis hin zu einem Einlagenzinssatz von 2 %. Auch ein rascherer Schritt könnte auf diesem Weg eingeschlagen werden, eine Option, die auch die Zentralbank nicht ausschließt. Lagarde wird in Vilnius um 9:15 Uhr mitteleuropäischer Zeit eine weitere Rede halten.