Die Debatte um die europäische Energieversorgung und die Unabhängigkeit von russischen Gasimporten erhält neue Impulse: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) legt eine Studie vor, die klarstellt, dass ein Embargo gegen russisches Erdgas die EU nicht in Versorgungsnöte bringen würde. Selbst unter der Annahme einer durchgängig hohen Gasnachfrage bis 2030 zeigt die Analyse, dass Europa das russische Gas komplett substituieren könne.
Die Experten des DIW belegen in ihrer Untersuchung die Tragfähigkeit alternativer Importkanäle. Europäische Staaten könnten demnach ihren Bedarf mühelos über andere Pipeline-Systeme und liquidiertes Erdgas (LNG) decken, und das ohne zusätzliche Infrastrukturinvestitionen. Länder, die bisher stark von russischen Gaslieferungen abhängig waren – wie Österreich und Ungarn – stehen dabei im Fokus der Analyse. Dennoch habe sich der Importanteil Russlands an der europäischen Gasversorgung bereits deutlich reduziert.
In den letzten Monaten ist Russlands Anteil am europäischen Gasmarkt gesunken: Während Österreich im März dieses Jahres zu 93 Prozent von russischen Importen abhing, ist der EU-weite Anteil auf 14 Prozent gesunken. Franziska Holz, eine der Autorinnen, bestätigt die Machbarkeit einer unabhängigen Versorgung, auch für die besonders abhängigen Nationen.
Die möglichen Optionen zur Schließung der Versorgungslücke im Falle weiterer Sanktionen streuen breit: Eine diversifizierte Beschaffung aus Ländern wie Norwegen, den USA, Algerien, Katar, Nigeria und Aserbaidschan wird als pragmatische Lösung betrachtet. Gleichzeitig betonen die Autoren die Wichtigkeit einer breiteren Verteilung der Gasquellen und heben die zunehmende Relevanz von LNG hervor.
Das DIW hinterfragt außerdem den geplanten Ausbau europäischer LNG-Importterminals – dieser wird als "stark überdimensioniert" angesehen. Nach Christian von Hirschhausen könnten die derzeitigen russischen LNG-Importe großteils ohne die geplanten Investitionen ersetzt werden. Lediglich geringfügige Erweiterungen der Kapazitäten in Italien und Kroatien könnten nötig sein.
Claudia Kemfert, Leiterin der Energieabteilung des DIW, sieht in der Studie auch einen Wegweiser für die europäische Energiewende: Der schrittweise Abschied von Erdgas zugunsten erneuerbarer Ressourcen stärke Europas Position und reduziere Abhängigkeiten, die zu politischer Einflussnahme genutzt werden könnten.