Ein Jahrzehnt lang galt die europäische Autoindustrie als politischer Sündenbock: CO₂-Grenzwerte wurden verschärft, der Green Deal machte aus Verbrennungsmotoren ein Auslaufmodell, und der regulatorische Druck stieg stetig.
Doch nun, zum Beginn der neuen Amtszeit von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, scheint sich die Tonlage zu ändern. Ein neuer Aktionsplan für die Autoindustrie soll erarbeitet werden – und das in nur fünf Wochen.
Die entscheidende Frage bleibt: Bedeutet das eine echte Zeitenwende oder bloß ein neues Kapitel europäischer Bürokratie?
Ein Kraftakt in Rekordzeit
Von der Leyen hat sich viel vorgenommen: Vier Arbeitsgruppen mit Vertretern aus Industrie und Verbänden sollen bis zum 5. März einen Plan vorlegen. Insgesamt fünf EU-Kommissare sind involviert, federführend der neue Verkehrskommissar Apostolos Tzitzikostas.
Die Geschwindigkeit, mit der dieser Prozess nun vorangetrieben wird, ist beispiellos für Brüsseler Verhältnisse – und ein klares Signal, dass die EU ihre Haltung zur Autoindustrie überdenken will.
Doch die Branche ist alles andere als geeint. Während einige Hersteller die neuen CO₂-Grenzwerte erfüllen werden – darunter BMW und Stellantis (Fiat, Peugeot, Opel) –, drohen anderen massive Strafzahlungen.
Volkswagen, Mercedes-Benz und Renault sind gefährdet, die Emissionsziele zu verfehlen. Die Frage, ob ihnen Erleichterungen gewährt werden sollten, sorgt bereits für Streit.
Strafzahlungen, E-Fuels und unklare Regeln
Besonders pikant: Sollte Brüssel den betroffenen Autobauern entgegenkommen, hätten reine Elektroauto-Hersteller wie Tesla und Polestar das Nachsehen.
Sie rechnen fest mit Hunderten Millionen Euro an Einnahmen aus dem Emissionshandel, da Verbrennerhersteller CO₂-Zertifikate zukaufen müssen, um Strafzahlungen zu vermeiden. Eine mögliche Kurskorrektur der EU könnte dieses Geschäftsmodell ins Wanken bringen.
Auch beim geplanten Verbrenner-Aus ab 2035 gibt es Uneinigkeit. Verkehrsminister Volker Wissing hatte eine E-Fuel-Ausnahme in letzter Minute durchgesetzt, doch die Umsetzung ist bislang unklar.
Die Industrie fordert hier dringend Klarheit. Wird die EU an der Null-Emissions-Vorgabe für Neuwagen festhalten oder könnte sie sogar ganz kippen? Auch diese Frage könnte den neuen Strategieplan erheblich beeinflussen.
Politisches Kalkül oder wirtschaftliche Wende?
Für die Autoindustrie ist der politische Kurswechsel ein Hoffnungsschimmer. Doch bleibt unklar, ob es sich tatsächlich um eine grundlegende Neuausrichtung handelt oder lediglich um eine symbolische Geste.
Beim ersten Treffen zur Ausarbeitung des Plans waren Umweltverbände zwar anwesend, spielten jedoch eine weit geringere Rolle als in früheren Jahren. Gleichzeitig fehlten entscheidende Akteure wie die Stromnetzbetreiber, die für den dringend benötigten Ausbau der Ladeinfrastruktur verantwortlich sind.
Die Gefahr besteht, dass die EU zwar neue Vorgaben für die Autobranche beschließt, aber keine Lösungen für das größere Problem der Mobilitätswende liefert.
Ohne ausreichende Ladeinfrastruktur bleibt der Umstieg auf Elektromobilität für viele Verbraucher unattraktiv – ein Punkt, den die Industrie wiederholt kritisiert hat.
Direkter Draht nach Brüssel – aber zu welchem Preis?
Immerhin: Die Autoindustrie erhält nun einen direkten Draht zur EU-Kommission, ohne sich auf eine oft unentschlossene Bundesregierung verlassen zu müssen.
In Brüssel gilt die „German Vote“-Enthaltung längst als Synonym für Deutschlands Unfähigkeit, eine klare Position in der europäischen Industriepolitik zu beziehen. Doch ob diese neuen Gespräche zu einer pragmatischeren Regulierung führen oder bloß noch mehr Bürokratie schaffen, bleibt abzuwarten.
Denn mit jedem Arbeitskreis und jeder neuen Runde an Expertenanhörungen steigt die Gefahr, dass am Ende vor allem eines entsteht: noch mehr Papier, noch mehr Regularien und noch mehr Komplexität.
Der eigentliche Bedarf der Branche – weniger Bürokratie, mehr Investitionssicherheit und klare Rahmenbedingungen – könnte auf der Strecke bleiben.
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