Es ist ein gigantisches Versprechen: 19 Milliarden US-Dollar soll das Megaprojekt kosten, mit dem Scheich Zayed bin Aweidha, Chef der Abu Dhabi Investment Group (ADIG), die vernachlässigten Favelas in Rio de Janeiro modernisieren will.
Neue Metro-Linien, ein Hochgeschwindigkeitszug und moderne Wohnviertel sollen entstehen. Es klingt nach einem revolutionären Ansatz – vor allem im Vergleich zur klassischen Entwicklungshilfe westlicher Länder.
Doch die Euphorie wird von einer entscheidenden Frage überschattet: Wird das Geld tatsächlich die Lebensqualität der Menschen verbessern – oder in den Mühlen der brasilianischen Bürokratie und Korruption versickern?
Ein vergessener Teil von Rio
Die Baixada Fluminense, der Großraum von Rio, ist eine Region der Abgehängten. Rund drei Millionen Menschen leben hier, oft in prekären Verhältnissen, viele mit einem monatlichen Mindestlohn von umgerechnet 250 Euro.
Wer in die Innenstadt oder an die Strände Rios gelangen will, braucht Stunden – Busse fahren unregelmäßig, eine Metro gibt es nicht. Während sich das reiche Rio in Vierteln wie Ipanema oder Copacabana sonnt, kämpft man in der Baixada mit Armut, Kriminalität und fehlender Infrastruktur.
Die Hoffnung, dass mit den Milliarden der Golfstaaten nun alles anders wird, ist groß. Aber ist sie auch realistisch?

Die Geschichte zeigt: Immer wieder wurden Infrastrukturprojekte für die ärmeren Regionen Rios angekündigt – und kaum eines wurde wirklich umgesetzt. Schon im Zuge der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und der Olympischen Spiele 2016 sollten Straßen und Nahverkehr ausgebaut werden.
Doch stattdessen floss das Geld in überteuerte Fußballstadien oder landete in dunklen Kanälen der Politik. Nun also der zweite Versuch. Und diesmal mit einem Partner, der wirtschaftliche Interessen verfolgt statt politischer Programme.
Von Entwicklungshilfe zur Investition
Das Emirat Abu Dhabi verfolgt eine klare Strategie: Es sieht die „Reurbanisierung“ der Favelas als ein Geschäft. Im Gegensatz zu deutschen oder europäischen Entwicklungshilfeprojekten, die oft auf Bildung und NGOs setzen, steht für die Emiratis der Return on Investment im Vordergrund.
Die Idee dahinter: Eine funktionierende Metro würde Millionen Fahrgäste anziehen, deren Ticketverkäufe langfristig für Einnahmen sorgen. Ein Hochgeschwindigkeitszug könnte neue wirtschaftliche Zentren außerhalb der Stadt erschließen. Der Plan ist ambitioniert – aber nicht ohne Risiko.
„Ich habe über die Möglichkeit gesprochen, städtische Gebiete mit U-Bahnen und Hochgeschwindigkeitszügen neu zu entwickeln und alternative Wohnmöglichkeiten für Favelas zu schaffen“, erklärte ADIG-Chef Zayed bin Aweidha jüngst gegenüber der brasilianischen Zeitung „O Estado“.
Die Vision erinnert an die rasante Stadtentwicklung in Abu Dhabi oder Dubai, wo innerhalb weniger Jahrzehnte aus Wüstenstädten futuristische Metropolen entstanden. Doch Brasilien ist nicht die Golfregion – und genau darin liegt das Problem.
Ein Land kämpft mit sich selbst
Brasilien gilt als eines der korruptesten Länder der Welt. Die Präsidentschaft von Lula da Silva wurde in der Vergangenheit durch gigantische Schmiergeldskandale erschüttert – insbesondere rund um den Baukonzern Odebrecht.
Die „Operation Autowäsche“, eine der größten Korruptionsaffären der jüngeren Geschichte, offenbarte, wie tief politische und wirtschaftliche Eliten in illegale Finanzströme verstrickt waren. Heute ist Brasilien auf Platz 107 im globalen Korruptionsindex angesiedelt – ein miserabler Wert für eine der größten Volkswirtschaften der Welt.
Die große Frage lautet daher: Wird es dieses Mal anders laufen? Wird die Milliardenwette der Emiratis tatsächlich in Infrastruktur fließen – oder nur in die Taschen von Politikern und Unternehmern?
Die Ankündigung des Megaprojekts kommt zu einem brisanten Zeitpunkt. Brasilien kämpft mit einer angeschlagenen Wirtschaft, hoher Inflation und einer schwachen Landeswährung. Ausländische Investitionen könnten genau das sein, was das Land braucht – wenn sie denn richtig umgesetzt werden.
Lulas zweite Chance
Für Staatspräsident Lula da Silva ist das Projekt auch eine politische Bewährungsprobe. Während seiner ersten Amtszeit wurde er als Held der Arbeiterklasse gefeiert, doch sein Erbe wurde durch Korruptionsvorwürfe überschattet.

Nun hat er die Möglichkeit, zu beweisen, dass eine Großinvestition wie diese nicht zwangsläufig in Skandalen enden muss. Doch der Präsident steckt in einem Dilemma: Einerseits will er ausländische Investitionen fördern, andererseits muss er aufpassen, dass er sich nicht von internationalen Investoren dominieren lässt.
Experten sind skeptisch. „Die brasilianische Bürokratie ist extrem langsam und ineffizient“, erklärt ein Wirtschaftswissenschaftler der Universidade de São Paulo. „Selbst wenn das Geld vorhanden ist, könnten Genehmigungsverfahren, politische Kämpfe und Korruptionsfälle das Projekt über Jahre hinauszögern.“
Ein weiteres Problem: Die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit. Werden sich die Menschen in der Baixada Fluminense die neuen Wohnungen überhaupt leisten können? Oder werden sie – wie schon so oft – durch steigende Mieten und Immobilienpreise aus ihren eigenen Vierteln verdrängt?
Brasilien oder Dubai?
Die Emiratis haben in Abu Dhabi und Dubai bewiesen, dass sie innerhalb weniger Jahre aus kargen Landschaften Hightech-Städte zaubern können.
Aber Rio de Janeiro ist kein Wüstenstaat mit unbegrenzten finanziellen Ressourcen und einer autoritären Regierung, die Entscheidungen ohne Widerstand durchsetzen kann. Die brasilianische Gesellschaft ist komplexer, die politische Landschaft chaotischer.
Dennoch könnte das Projekt ein Wendepunkt für Brasilien sein. Sollte es gelingen, ein effizientes und profitables Infrastrukturprojekt in einer der ärmsten Regionen des Landes umzusetzen, könnte das Investoren weltweit ermutigen, in Brasilien Geld zu parken.
Doch die Risiken bleiben enorm. Scheitert das Projekt, wäre es ein weiteres Beispiel dafür, dass Brasilien zwar großes Potenzial hat – aber es nie schafft, dieses wirklich zu nutzen.
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