24. September, 2024

Politik

Ein Blick auf die verworrene Lage im Nahen Osten: Israels Angriffe auf Hizbollah rücken Libanon ins Zentrum

Ein Blick auf die verworrene Lage im Nahen Osten: Israels Angriffe auf Hizbollah rücken Libanon ins Zentrum

Die jüngsten Raketenangriffe Israels auf Ziele der Hizbollah und die damit einhergehende Sicherheitskrise haben tiefe Lücken in der Disziplin und Loyalität der paramilitärischen Gruppe offengelegt, die sich lange Zeit als unerschütterlich präsentiert hatte. Der Beginn der israelischen Bombardierung am Montag hat das Image der Hizbollah, ihre Anhänger vor Israel schützen und abschrecken zu können, nachhaltig beschädigt.

Diese Ereignisse haben alte Bruchlinien innerhalb des Libanon und der Region wieder zutage gefördert, besonders im Hinblick auf die Rolle der Hizbollah als „Staat im Staate“ und starke paramilitärische Kraft. Ehemaliger CIA-Direktor Leon Panetta bezeichnete die Angriffe per Pager als eine Form des Terrors, die die Lieferkette infiltriere. Langfristige Konsequenzen in und über Libanon hinaus sind abzuwarten, wohingegen der unmittelbare Schrecken im Land spürbar war, als Sirenen stundenlang heulten und verängstigte Mütter Babyüberwacher aussteckten.

Kurzzeitig dominierte eine Welle des Mitgefühls das Land. Politische Gegner bekundeten Solidarität und forderten, politische Differenzen beiseite zu schieben. Menschen aller Konfessionen eilten herbei, um Blut zu spenden. Diese Form der Empathie hat die Hizbollah ihren Gegnern selbst nie gewährt – weder im Libanon, wo sie des Mordes an Ex-Premier Rafiq Hariri beschuldigt wird, noch in Syrien, wo sie an der Seite von Baschar al-Assad im Bürgerkrieg kämpfte.

Der syrische Dissident Yassin Al Haj Saleh äußerte auf X, dass Schadenfreude unter seinen Landsleuten angesichts der Pager-Angriffe zwar kein Grund zur Freude, aber verständlich sei. Er wies darauf hin, dass Syrer von der Hizbollah „getötet, belagert und ausgehungert“ worden seien, als diese das „genozidale Regime“ unterstützte. Schockierend setzte sich das Hohnlachen fort, während fast 600 Menschen bei israelischen Angriffen getötet wurden – der tödlichste Tag in Libanon seit dem Bürgerkrieg.

Im Gegensatz zu früheren Konflikten, als Hizbollah auf erhebliche regionale Unterstützung zählen konnte, steht die Organisation nun isoliert dar. Weder Assad, der seine eigene Macht der Hilfe von Hizbollah und Iran verdankt, noch Russland zeigen sich präsent. Unterdessen haben iranische Beamte in New York signalisiert, dass sie offen für Verhandlungen mit den USA sind.

Israel betrachtet die aktuelle Situation als Gelegenheit. Premierminister Benjamin Netanyahu könnte hoffen, dass die Libanesen sich gegen die Hizbollah erheben oder dass diese ob der Verluste nachgibt. Doch die Realität zeigt sich anders: Die Hizbollah wird keine Niederlage zugeben, und die Libanesen sind zu erschöpft und verängstigt, um mitten im Krieg aufzubegehren. Zudem bleibt der Zusammenhalt gegen Israel bestehen, selbst unter denen, die Hizbollah ablehnen und entsetzt auf die Zerstörung Gazas blicken.

Als Hizbollah am 8. Oktober letzten Jahres Raketen auf Israel abfeuerte, verband sie das Schicksal des Libanon unweigerlich mit einem Waffenstillstand in Gaza. Doch dass der Konflikt so lange andauern würde, haben weder Hizbollah noch Iran erwartet. Die Balance zwischen Abschreckung und Abnutzungskrieg hielt – bis Israel letzte Woche plötzlich das Tempo verschärfte.

Nach dem verheerenden Krieg 2006, in dem 1.200 libanesische Zivilisten starben und die Infrastruktur des Landes zerstört wurde, gestand Nasrallah ein, die Gefangennahme israelischer Soldaten nicht veranlasst zu haben, hätte er die anschließenden Konsequenzen vorhergesehen. Heute steht der Libanon, ein Land ohne Präsidenten, mit einer geschäftsführenden Regierung und kaum funktionierenden Institutionen, am Rande eines weiteren verheerenden Konflikts.

Ein kleines Zeitfenster für diplomatische Lösungen bleibt, das Hizbollah ermöglicht, sich aus dem Gaza-Konflikt zurückzuziehen. Dies erfordert jedoch eine nationale Koalitionsbildung im Libanon, die historisch schwer zu erreichen war. Mehr noch, die Biden-Administration müsste von Israel eiserne Zusicherungen erhalten, dass auch sie ihre Angriffe einschränkt.

Leider hat Joe Biden in den elf Monaten des Gaza-Kriegs bisher keine Versprechen von Netanyahu einholen können oder wollen und wird dies kurz vor einer US-Präsidentschaftswahl noch weniger riskieren.