Die Drogeriekette dm betritt Neuland: Ab dem kommenden Jahr will das Unternehmen rezeptfreie Arzneimittel online anbieten und von Tschechien aus nach Deutschland versenden.
Dieses Vorhaben eröffnet einen Milliardenmarkt, stellt jedoch zugleich eine erhebliche Herausforderung für stationäre Apotheken und etablierte Versandhändler dar.
Milliardenmarkt im Visier
Rezeptfreie Medikamente sind in Deutschland ein lukratives Geschäft. Allein im vergangenen Jahr wurden damit Umsätze von rund 6,2 Milliarden Euro erzielt.
Der Onlinehandel mit Medikamenten, Nahrungsergänzungsmitteln und Kosmetik verzeichnet ein besonders dynamisches Wachstum: Zwischen Januar und September stieg der Umsatz um knapp 10 Prozent auf 2,6 Milliarden Euro.
Sebastian Bayer, Geschäftsführer Marketing und Beschaffung bei dm, bestätigt die Pläne:
„Wir planen ausschließlich den Onlinehandel mit frei verkäuflichen Arzneimitteln.“
Der Standort Tschechien ermögliche es dm, als Kapitalgesellschaft in den Arzneimittelversand einzusteigen – ein Modell, das in Deutschland aufgrund rechtlicher Beschränkungen nur approbierten Apothekern erlaubt ist.
Herausforderung für stationäre Apotheken
Stationäre Apotheken spüren schon seit Jahren den Druck durch Onlinehändler wie Shop Apotheke und Doc Morris. Der Marktanteil von Onlineanbietern bei rezeptfreien Arzneimitteln liegt mittlerweile bei einem Viertel.
Gleichzeitig sinkt die Zahl der Apotheken in Deutschland kontinuierlich: Von mehr als 20.000 im Jahr 2010 auf unter 17.300 heute.
Marktstudien zeigen, dass Verbraucher bei Onlinebestellungen vor allem auf niedrige Preise, große Produktauswahl und schnelle Lieferung achten. dm könnte hier mit seiner Marktgröße punkten: Mit einem Jahresumsatz von 12,4 Milliarden Euro hat das Unternehmen die Verhandlungsstärke, um günstigere Konditionen bei Herstellern durchzusetzen.
Ein Schritt in Richtung Gesundheitsversorgung?
Laut Branchenbeobachtern könnte die Onlineapotheke erst der Anfang sein. In Interviews positioniert dm-Chef Christoph Werner Drogeriemärkte immer wieder als mögliche Ergänzung zur klassischen Gesundheitsversorgung.
Mit Telemedizin und App-basierten Beratungsdiensten ist das Unternehmen bereits in Gesprächen mit Start-ups.
Ein denkbares Zukunftsszenario könnte der britischen Drogeriekette Boots ähneln: Dort gibt es medizinisches Fachpersonal in den Filialen, das Impfungen und Beratungen bei leichten Erkrankungen anbietet. „Wir denken langfristig“, betonte Werner und ließ durchblicken, dass er dm auch bei solchen Themen mit guten Ideen sieht.
Reaktionen aus der Branche
Die Pläne von dm werden in der Branche mit Spannung beobachtet. „Das ist ein logischer und strategisch kluger Schritt“, sagt ein Topmanager eines Arzneimittelherstellers.
„Ich habe mich ehrlich gesagt gewundert, warum sie diesen Markt nicht schon früher betreten haben.“
Doch nicht alle potenziellen Konkurrenten ziehen sich kampflos zurück. Versandhändler wie Shop Apotheke und Doc Morris sowie neue Player wie Amazon beobachten den Vorstoß genau. Der E-Commerce-Gigant Amazon hat bereits in den USA eine eigene Versandapotheke gestartet und könnte diesen Ansatz künftig auch nach Deutschland bringen.
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Potenzial und Risiken
Die Bevölkerung steht den Plänen positiv gegenüber: Laut einer Umfrage der Unternehmensberatung Sempora können sich 42 Prozent der Deutschen vorstellen, bei dm rezeptfreie Medikamente zu bestellen. Das Unternehmen genießt im medizinischen Bereich ein hohes Maß an Vertrauen – ein entscheidender Vorteil im Wettbewerb.
Doch der Markteintritt ist nicht ohne Risiko: Der deutsche Gesundheitsmarkt ist hochreguliert, und der Versand von rezeptpflichtigen Medikamenten bleibt dm aufgrund gesetzlicher Vorgaben vorerst verwehrt. Zudem könnten stationäre Apotheken und Branchenverbände politischen Druck aufbauen, um die Expansion einzuschränken.