Wenn man die Straßen der russischen Stadt Kasan betritt, ist der Ausnahmezustand des BRICS-Gipfels kaum noch zu spüren. Doch das Gipfeltreffen der aufstrebenden Wirtschaftsmächte Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika sowie neuer assoziierter Mitglieder hat deutliche Zeichen gesetzt.
Der Westen, so die klare Botschaft, ist längst nicht mehr die unangefochtene Führungskraft, die den globalen Kurs allein bestimmt. Die BRICS-Staaten wollen das ändern – und zwar mit Nachdruck.
Das Ende einer zweigeteilten Welt?
Während die westlichen G7-Staaten zunehmend mit internen Herausforderungen kämpfen, zeigt das BRICS-Bündnis, dass es mehr ist als eine bloße wirtschaftliche Interessensgemeinschaft. Staatschefs aus 24 Ländern trafen sich unter dem Motto
„Stärkung des Multilateralismus für eine gerechte globale Entwicklung und Sicherheit“.
Sie ließen keine Zweifel daran, dass sie die Vormachtstellung des Westens infrage stellen. „Die Zeiten, in denen man sich für einen von zwei Blöcken entscheiden musste, sind vorbei,“ sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan – ein bemerkenswerter Kommentar eines NATO-Mitglieds.
Die Zahlen sprechen für BRICS
Was einst als lockere Kooperation der Schwellenländer begann, entwickelt sich zur ernstzunehmenden Alternative zu den G7.
Die BRICS-Staaten repräsentieren über 41 Prozent der Weltbevölkerung und machen 37 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts aus. Zudem kontrollieren sie einen Großteil der weltweiten Rohstoffvorkommen, insbesondere im Energiesektor.
Der Beitritt neuer Staaten wie Ägypten, Äthiopien und den Vereinigten Arabischen Emiraten untermauert die Attraktivität der BRICS – ein klares Signal an den Westen, dass die multipolare Welt längst Realität geworden ist.
Wladimir Putins vorsichtige Expansion
Der russische Präsident Wladimir Putin mahnte beim Gipfeltreffen allerdings zur Vorsicht. Ein zu schnelles Wachstum, so Putin, könnte die Effizienz des Bündnisses beeinträchtigen.
So wurde die Aufnahme von 13 weiteren Staaten lediglich auf assoziierte Mitgliedschaften begrenzt – ein Zwischenschritt, der den BRICS-Ländern Spielraum lässt, zukünftige Vollmitgliedschaften zu evaluieren. Der Balanceakt ist klar: Man möchte wachsen, aber ohne das Risiko eines unkoordinierten und instabilen Bündnisses.
Xi Jinpings klare Ansagen zur Ukraine
Die Rolle der BRICS-Staaten geht weit über Wirtschaftsfragen hinaus. Der Krieg in der Ukraine war ebenfalls Thema auf dem Gipfel. Chinas Präsident Xi Jinping zeigte sich entschlossen und forderte eine Deeskalation. Er plädierte für klare Prinzipien: keine Ausweitung des Konflikts, keine Eskalationen und keine Provokationen.
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China und Brasilien haben sich als Vermittler positioniert und gemeinsam mit anderen Ländern eine „Freunde für den Frieden“-Gruppe gegründet, die sich für eine diplomatische Lösung einsetzt. Ob die BRICS in der Ukraine-Frage letztlich die Friedensstifterrolle übernehmen können, bleibt jedoch abzuwarten.
Westliche Skepsis – und das Dollar-Dilemma
Nicht alle trauen dem BRICS-Bündnis eine große Zukunft zu. Der britische Ökonom Jim O’Neill äußerte Zweifel an der Kohärenz des Bündnisses, insbesondere an den wirtschaftlichen Interessen von China und Indien, die oft auseinandergehen. Der Plan, eine Alternative zum Dollar-basierten Swift-Zahlungssystem zu schaffen, bleibt ambitioniert.
Doch gerade hier könnte die BRICS-Gemeinschaft eine der größten Gefahren für die westliche Dominanz darstellen. Ein grenzüberschreitendes Zahlungssystem ohne den Dollar wäre ein Schlag gegen die derzeitige Finanzordnung, der besonders den USA wirtschaftlich treffen könnte.
Die BRICS als Alternative für Entwicklungsländer
Für viele Schwellen- und Entwicklungsländer sind die BRICS eine attraktive Alternative zum Westen. Ein zentrales Anliegen des Gipfels war die Aufhebung einseitiger Handelssanktionen, die den freien Handel und die wirtschaftliche Entwicklung vieler Staaten behindern.
Die Botschaft des Abschlusskommuniqués war deutlich: Einseitige Zwangsmaßnahmen, wie Sanktionen, stören nicht nur die globalen Märkte, sondern verschärfen Armut und behindern die nachhaltige Entwicklung. BRICS bietet diesen Staaten nicht nur eine Stimme, sondern auch die Aussicht auf echte wirtschaftliche Unabhängigkeit.
Der Westen unterschätzt die BRICS – eine Warnung aus der Ukraine
Der frühere ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, warnte davor, die BRICS zu unterschätzen. In einem Interview betonte er, dass die westlichen Länder ohne eine klare Strategie im Umgang mit dem BRICS-Phänomen das Risiko eingehen, langfristig an Einfluss zu verlieren. Eine fehlende Reaktion des Westens könnte letztlich ein „böses Erwachen“ bedeuten, so Melnyk.
Blick in die Zukunft: Eine multipolare Welt im Entstehen
Ob BRICS letztlich das Machtgefüge der Welt nachhaltig verändern kann, wird sich zeigen. Doch eines ist sicher: Der Westen sollte sich auf eine Welt vorbereiten, in der es nicht mehr nur einen dominierenden Block gibt. Die Idee, dass Staaten wie Russland, China oder Indien mit eigenen Systemen, Banken und Plattformen die Weltwirtschaft mitgestalten, ist längst mehr als eine Fantasie. Es ist eine Realität, die Kasan eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat.