Mit der Abschaltung des Ratcliffe-on-Soar Kraftwerks wird Großbritannien diesen Montag ein historisches Kapitel schließen und seine Abhängigkeit von Kohle zur Stromerzeugung beenden. Diese Anlage, die sich etwas mehr als 100 Meilen nördlich von London, in der Nähe von Nottingham, befindet, wird ihre Tore endgültig schließen.
Dies markiert einen wichtigen Moment für ein Land, das einst Vorreiter im massenhaften Kohleabbau war und diese Ressource nutzte, um Stahl und Glas zu produzieren und die Industrielle Revolution zu initiieren.
Kohle war das Herzstück vieler bedeutender Entwicklungen: Es trieb die Maschinen in Textilfabriken an, befeuerte Lokomotiven auf Eisenbahnen und ersetzte Holzfeuerstellen, um britische Haushalte zu heizen. Vor allem aber erzeugte Kohle Strom.
Noch in den frühen 1990er Jahren deckten kohlebefeuerte Kraftwerke wie Ratcliffe mehr als drei Viertel des britischen Strombedarfs. Doch das Land hat seine Kohleabhängigkeit schneller als jede andere große Industrienation reduziert. Letztes Jahr lieferte Kohle nur noch 1,3 Prozent des britischen Stroms, während ein Drittel aus Gaskraftwerken und knapp ein Drittel aus Windkraftanlagen stammte.
Nur wenige Briten werden den Abgang der Kohlekraftwerke wie Ratcliffe betrauern. Denn Kohlekraft ist die größte Quelle globaler Treibhausgasemissionen und ein Hauptverursacher der sich verschärfenden Klimakrise.
Dennoch erzeugt diese Entwicklung eine gewisse Nervosität, denn im Kern handelt es sich um ein hochriskantes Experiment. Großbritannien stellt sich als Testfall dar, wie eine Industriewirtschaft mit einem raschen Abbau fossiler Brennstoffe umgehen kann. Bereits jetzt zeigen sich Konsequenzen: höhere Energiekosten und eine schrumpfende Fertigungsindustrie. Der Erfolg dieses Experiments könnte entscheidend dafür sein, ob andere Länder diesem Beispiel folgen werden.
Der Druck ist hoch, nicht zuletzt wegen der ehrgeizigen Frist der neuen Labour-Regierung, bis 2030 ein klimaneutrales Stromsystem zu erreichen. Im Gegensatz zu skandinavischen Ländern verfügt Großbritannien nicht über genug Wasserkraftwerke, um den Großteil des benötigten Stroms zu liefern. Die britischen Atomkraftwerke sind zudem kleiner und älter als die französischen. Letztes Jahr warnte der Climate Change Committee, ein öffentliches Gremium zur Überwachung der Umweltpolitik, dass das Land nicht einmal auf Kurs sei, dieses Ziel bis 2035 zu erreichen, geschweige denn fünf Jahre früher.