Der Begriff „Flugscham“, der 2018 in Schweden entstand und durch das Engagement von Klimaaktivisten wie Greta Thunberg globale Bekanntheit erlangte, scheint heute für viele Deutsche ein Relikt vergangener Diskussionen zu sein.
Eine Luft von Gleichgültigkeit
Die Reisenden am BER, von jungen Familien bis zu feiernden Junggesellenabschiedsgruppen, zeigen wenig Anzeichen von Besorgnis über die ökologischen Folgen ihres Handelns.
Eine Mutter, die kurz vor ihrem Flug nach Palma steht, bekennt offen, dass die CO₂-Bilanz ihrer Familie sie kaum beschäftigt. Ihr pragmatischer Ansatz, ein Mittelweg zwischen Nichtstun und Überregulierung, spiegelt eine breitere gesellschaftliche Stimmung wider, die sich zwischen Fatalismus und der Suche nach pragmatischen Lösungen bewegt.
Aufschwung der Flugzahlen trotzt Umweltbedenken
Trotz weltweiter Klimaproteste und wissenschaftlicher Warnungen vor den unabwendbaren Folgen der Erderwärmung steigen die Flugzahlen in Deutschland kontinuierlich.
Laut dem Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft verzeichnete 2023 ein Wachstum von 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, nahezu das Niveau vor der Pandemie erreichend. Diese Zahlen stehen im scharfen Kontrast zu der dringenden Notwendigkeit, Emissionen zu reduzieren und klimapolitische Maßnahmen zu verschärfen.
Klimapolitik im Schatten geopolitischer Krisen
Prof. Dr. Stephan Rammler, Mobilitätsforscher und ehemaliger Direktor des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in Berlin, verweist auf eine Verschiebung in der öffentlichen Wahrnehmung.
„Wir erleben insgesamt, dass die klimapolitische Debatte in den Hintergrund gerät angesichts der geopolitischen Krisen der Gegenwart“, betont Prof. Dr. Stephan Rammler.
Die geopolitischen Spannungen und die aktuelle politische Lage absorbieren die Aufmerksamkeit und Ressourcen, die eigentlich dem Klimaschutz gelten sollten. Diese Verschiebung führt zu einem nachlassenden Druck auf Einzelpersonen und Politik, klimafreundlichere Entscheidungen zu treffen.
Der individuelle Beitrag zum Klimaschutz
Trotz der ernüchternden Aussichten gibt es Stimmen, die zur persönlichen Verantwortung aufrufen. Dr. Katrin Dziekan vom Umweltbundesamt betont die Bedeutung jeder Entscheidung für den Klimaschutz. Selbst wenn Flugreisen nur drei Prozent der globalen CO₂-Emissionen ausmachen, ist der individuelle Verzicht auf unnötige Flüge ein wichtiger Schritt.
Sie fordert einen bewussteren Umgang mit der Wahl unserer Transportmittel, insbesondere in Anbetracht der Verfügbarkeit und Effizienz alternativer Verkehrsmittel wie der Bahn, trotz deren aktueller Unzulänglichkeiten.
Technologische Hoffnungen und Realitäten
Die Zukunft der Luftfahrt könnte durch die Integration von Biokraftstoffen und synthetischen Treibstoffen grüner werden, jedoch sind solche technologischen Lösungen noch nicht umfassend realisierbar.
Der langsame Fortschritt in der Entwicklung und Implementierung dieser Technologien macht deutlich, dass eine sofortige und gründliche Umgestaltung der Verkehrsinfrastruktur erforderlich wäre, um eine echte Veränderung herbeizuführen.
Zwischen Akzeptanz und Aktion
Die Diskussion um die Flugscham mag abgeebbt sein, doch das Thema Klimaschutz bleibt relevant. Die Frage, wie wir als Gesellschaft und als Individuen mit den Herausforderungen des Klimawandels umgehen, wird weiterhin eine zentrale Rolle in unserem Alltag und unseren Entscheidungen spielen.
Der Konflikt zwischen persönlicher Freiheit und kollektiver Verantwortung prägt die Debatte und fordert von uns allen, kritische und informierte Entscheidungen zu treffen.