Im libanesischen Machtgefüge wird bald ein neuer Präsident gewählt – eine Entscheidung von großer Tragweite, denn seit dem Ende der Amtszeit von Michel Aoun im Oktober steht das höchste Amt im Land leer. Die angespannte politische Lage, ausgelöst durch den Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah sowie den Sturz des Verbündeten Bashar al-Assad in Syrien, prägt das Geschehen. Der Präsidentenposten, traditionell durch einen maronitischen Christen besetzt, kann von keiner Fraktion im 128-köpfigen Parlament eigenmächtig besetzt werden, da es an einem breiten Konsens mangelt. Besonders brisant wird die Wahl, da sie die erste große Bewährungsprobe für die Balance der Macht darstellt, nachdem die Hisbollah, die einst ihren christlichen Verbündeten Aoun an die Spitze hievte, geschwächt aus dem Israel-Konflikt hervorging. Angesichts fortlaufender Veränderungen im Nahen Osten haben Hisbollah und ihr Partner, die Amal-Bewegung unter der Führung von Parlamentspräsident Nabih Berri, ihre Unterstützung für Suleiman Frangieh zurückgezogen. Sie lassen die Möglichkeit offen, sich auf eine weniger kontroverse Person zu einigen. Zu den in Erwägung gezogenen Kandidaten zählen der Armeekommandeur General Joseph Aoun, den auch die USA unterstützen, der ehemalige Finanzminister und IWF-Beamte Jihad Azour sowie der Generalmajor Elias al-Baysari. Mit verschiedenen Akteuren auch auf der internationalen Bühne, die auf diese Wahl Einfluss nehmen, zeichnet sich ein spannender Entscheidungstag ab. Ministerpräsident Najib Mikati äußerte optimistisch seine Hoffnung auf eine baldige Entscheidung. Auch Frankreichs Außenminister Jean-Noel Barrot betonte die Wichtigkeit der Wahl für Libanons künftige Stabilität und Wiederaufbau. Westliche und regionale Interessen sind in höchstem Maße involviert, wie Treffen von französischen und saudischen Diplomaten mit libanesischen Entscheidungsträgern zeigen. Doch trotz aller internationalen Bemühungen stehen Unsicherheiten im Raum - denn um Präsident zu werden, muss eine der vorgeschlagenen Persönlichkeiten 86 Stimmen im ersten Wahlgang oder 65 in einem möglichen zweiten Wahlgang erhalten.