31. Oktober, 2024

Wirtschaft

Deutschlands Wirtschaft überrascht – aber zu welchem Preis?

Mit einem Plus von 0,2 Prozent im dritten Quartal entgeht Deutschland einer Rezession. Doch wie stabil ist dieses Wachstum, und warum hinkt Deutschland im Vergleich zu Europa weiter hinterher?

Deutschlands Wirtschaft überrascht – aber zu welchem Preis?
Trotz eines unerwarteten Anstiegs von 0,2 Prozent bleibt das Land im europäischen Vergleich abgeschlagen – Spaniens Wirtschaft wächst viermal so stark.

Überraschende Wende in der deutschen Konjunktur: Statt der erwarteten Schrumpfung verzeichnet die deutsche Wirtschaft ein leichtes Plus von 0,2 Prozent. Ein Vierteljahr, das zum Hoffnungsschimmer stilisiert werden könnte – zumindest auf den ersten Blick.

Bruttoinlandsprodukt im 3. Quartal 2024 um 0,2 % höher als im Vorquartal
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist im 3. Quartal 2024 gegenüber dem 2. Quartal 2024 – preis-, saison- und kalenderbereinigt – um 0,2 % gewachsen. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, nahmen im 3. Quartal 2024 vor allem die staatlichen und die privaten Konsumausgaben zu. Im 2. Quartal 2024 ging die Wirtschaftsleistung nach den neuesten Berechnungen um 0,3 % zurück (bisher: -0,1 %), nach einem Plus zum Jahresbeginn (+0,2 %).

Denn hinter dem Mini-Wachstum verbirgt sich nicht nur ein statistischer Effekt, sondern auch eine tiefe Unsicherheit, die Deutschland seit Jahren in einem unsteten Zickzackkurs gefangen hält.

„Die Bilanz ist besser als erwartet“, vermeldete das Statistische Bundesamt am Mittwoch. Für das dritte Quartal rechneten viele Wirtschaftsexperten mit einem Rückgang um 0,1 Prozent, nachdem die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal noch geschrumpft war.

Doch statt in eine technische Rezession abzurutschen, verzeichnete das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nun ein kleines Wachstum – zum Teil, weil das Minus im zweiten Quartal stärker revidiert wurde.

Der Schein trügt jedoch, denn dieser Wechsel zwischen leichtem Wachstum und Schrumpfen zieht sich wie ein flimmernder Herzschlag durch die letzten Jahre.

Eine Flimmerkonjunktur mit langer Geschichte

Die deutsche Wirtschaft stagniert seit 2018 im Vergleich zu anderen großen Volkswirtschaften. Während Frankreich, Spanien und Italien nach der Pandemie mit teils zweistelligen Wachstumszahlen glänzen, hinkt Deutschland hinterher.

In Spanien liegt die Wirtschaftsleistung zehn Prozent über dem Niveau von 2017, in Frankreich sieben und in Italien sechs Prozent – Deutschland bringt es im gleichen Zeitraum auf bescheidene 1,2 Prozent.

Die Gründe für dieses Dilemma sind vielfältig. Zwar haben sich private und staatliche Konsumausgaben im Sommer leicht erholt, doch die positiven Effekte bleiben begrenzt.

Mit steigendem Lohnniveau und einer abnehmenden Inflation zeigt sich der private Konsum zwar belebt, doch die fundamentalen Schwächen der Wirtschaft lassen sich damit nicht kaschieren.

Die deutsche Wirtschaft wechselt seit zwei Jahren zwischen Wachstum und Schrumpfen – eine instabile Entwicklung, die Investoren zunehmend verunsichert.

Statistik als Hoffnungsschimmer?

„Die deutsche Wirtschaft ist zäher, als wir dachten,“ meint Robert Habeck, Vizekanzler und Wirtschaftsminister. Doch auch er räumt ein, dass die Zahlen kein Grund zur Entwarnung sind.

Vielmehr stehe Deutschland weiter unter Druck, strukturelle Probleme wie Bürokratie, Investitionsstaus und Innovationsmangel anzugehen. Seine Forderung: Die Koalition müsse jetzt entschlossener handeln, um den Standort zu stärken. Dass sich die drei Ampel-Parteien dabei uneins sind, dürfte das Sommerwachstum bald wieder in Frage stellen.

SPD-Chefin Saskia Esken weist Finanzminister Christian Lindner eine Mitschuld an der schwachen Konjunktur zu. Der FDP-Politiker blockiere wichtige Maßnahmen, die nötig seien, um langfristig wieder auf einen stabilen Wachstumspfad zu gelangen.

„Das Entlastungspaket für die Wirtschaft reicht bei Weitem nicht aus,“ erklärt Esken.

Hierbei zeigt sich erneut die Kluft zwischen den Koalitionspartnern: Während die SPD auf zusätzliche staatliche Investitionen drängt, setzt die FDP auf Konsolidierung und Haushaltsdisziplin.

Zwischen Wachstum und Stagnation – ein europäischer Vergleich

Deutschland steht mit seiner Flimmerkonjunktur zunehmend isoliert in Europa da. Besonders auffällig ist das Wachstum Spaniens, das im dritten Quartal erneut um 0,8 Prozent zulegen konnte.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet Spanien für 2024 eine Wachstumsrate von 2,9 Prozent zu, während für Deutschland eine Stagnation vorhergesagt wird.


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Auch Frankreich und Italien schneiden deutlich besser ab. Die Olympischen Spiele in Paris geben Frankreichs Wirtschaft einen zusätzlichen Schub, während Griechenland sogar ein geschätztes Plus von 0,5 Prozent verzeichnet.

Während Deutschland weiterhin an bürokratischen Hindernissen und einer schwerfälligen Industriepolitik leidet, profitieren andere Länder von flexibleren Strukturen und zielgerichteten EU-Hilfen.

„Deutschland hat die Chancen nach der Pandemie nicht ausreichend genutzt, um sich nachhaltig aufzustellen,“ analysiert Elmar Völker, Ökonom der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Die Stabilität, die Deutschland einst als wirtschaftliches Zugpferd Europas auszeichnete, scheint zu bröckeln.

Ein Lichtblick mit Schattenseiten

Der Blick auf die Quartalszahlen zeigt: Es gibt einen Anstieg, aber keinen Aufwärtstrend. Dass sich Wachstum und Schrumpfung in Deutschland immer wieder abwechseln, bleibt ein Warnsignal.

Der Völker-Analyst erkennt in der Konsumbelebung zwar eine gute Nachricht, doch die Gefahr bleibe bestehen, dass Deutschland den Anschluss an eine dynamischere Wirtschaftsentwicklung in Europa verliere.