16. April, 2025

Politik

Deutschlands Russland-Romantik – Warum autoritäre Sehnsucht wieder Konjunktur hat

Trotz Putins Angriffskrieg und autoritärer Politik wünschen sich viele Deutsche bessere Beziehungen zu Russland – quer durch Parteien und Milieus. Historisch ist diese Neigung nicht neu. Doch diesmal gefährdet sie das demokratische Fundament.

Deutschlands Russland-Romantik – Warum autoritäre Sehnsucht wieder Konjunktur hat
Mehr als ein Drittel der Deutschen wählt laut Umfragen Parteien, die ein kooperativeres Verhältnis zu Russland fordern – trotz Angriffskrieg, Repression und Völkerrechtsbruch.

Russland als Projektionsfläche – gestern wie heute

Mehr als ein Drittel der Deutschen wählt Parteien, die für ein besseres Verhältnis zu Russland eintreten – und das, während in Europa Krieg herrscht. Die NATO wird von nicht wenigen als Provokateur gesehen, die USA als dysfunktionaler Hegemon.

Was für westliche Beobachter nach Realitätsverweigerung klingt, hat in Deutschland eine lange Tradition: Russland war – und ist – Projektionsfläche. Für Entlastung, für Ordnung, für eine Heimat, die nie wirklich hier war.

Diese historische Russlandsehnsucht reicht tief. Bereits vor über 100 Jahren suchten konservative Eliten, Industrielle und Militärs im revolutionären Russland einen Partner gegen die liberale Demokratie des Westens.

Der Vertrag von Rapallo 1922 steht dafür sinnbildlich: Deutschland und Sowjetrussland verständigten sich im Stillen – gegen den Westen.

Rapallo reloaded? Der stille Konsens gegen den Westen

Was damals der ökonomische Ausweg aus dem Versailler Diktat war, scheint heute politisch-emotional motiviert. Der Wunsch nach einer Welt ohne westliches Wertechaos, ohne kulturellen Wandel, ohne Diskussion – dafür mit Klarheit, Strenge und starker Führung.

Russland erscheint manchen als Alternative. Dass dort Oppositionelle vergiftet, Journalisten verhaftet und Nachbarn überfallen werden? Für viele kein Ausschlusskriterium mehr.

Putins Popularität in Teilen der deutschen Bevölkerung hält sich – trotz Annexion der Krim, systematischer Unterdrückung von Opposition und Angriff auf die Ukraine.

Diese Haltung zieht sich längst durch die politische Mitte. Ob AfD oder BSW, aber auch Teile von SPD und Union – das Misstrauen gegenüber dem Westen, der EU und der transatlantischen Allianz wächst.

Die eigentliche Bruchlinie verläuft nicht entlang von Parteigrenzen, sondern zwischen demokratischer Überzeugung und autoritärer Versuchung.

Ein historischer Rückfall mit Ansage

Was wie eine Randnotiz erscheint, hat strukturelle Dimensionen. Politikwissenschaftler warnen seit Jahren vor einem Rückfall in autoritäres Denken – nicht als Ausnahme, sondern als wiederkehrendes Motiv.

Die jüngste Relativierung Putins Krieg, die Ablehnung westlicher Sanktionen oder die Forderung nach "Dialog auf Augenhöhe" trotz Angriffskrieg – das alles sind Symptome eines gestörten politischen Kompasses.

Dabei wird häufig übersehen, dass die frühe Weimarer Republik bereits einmal eine strategische Nähe zu Moskau suchte. Der „Teufelspakt“, wie Publizist Sebastian Haffner den Hitler-Stalin-Pakt nannte, war nur der radikalste Ausdruck dieser alten Verbindungslinie – nicht ihr Beginn.

Politische Entlastung durch autoritäre Identifikation

Was also zieht so viele Deutsche zu Russland? Die Antwort ist unbequem. In Putins System sehen manche das Gegenteil dessen, was sie im Westen ablehnen: keine Vielfalt, keine offene Gesellschaft, kein parlamentarisches Ringen. Stattdessen klare Verhältnisse. Ein starker Mann. Eine Nation, die sich gegen den moralisch überladenen Westen behauptet.

Diese Sehnsucht ist mehr als Nostalgie. Sie ist eine Form der politischen Entmündigung, die als Befreiung erlebt wird. Wer sich einem Führer unterordnet, muss selbst keine Verantwortung übernehmen. Wer gehorcht, muss nicht diskutieren. Wer glaubt, braucht keine Zweifel.

Ein unvollendeter Weg nach Westen

Der Historiker Heinrich August Winkler sprach einmal vom „langen Weg nach Westen“. Die jüngsten politischen Strömungen lassen erahnen, dass dieser Weg noch nicht abgeschlossen ist. Vielleicht war die transatlantische Phase der Nachkriegszeit nicht der neue Normalzustand, sondern nur eine Atempause in einem Land, das nie ganz entschieden hat, wo es hingehört.

Was derzeit auf Seite 1 diskutiert wird – Ukrainekrieg, NATO, Russlandpolitik – hat tiefere Wurzeln. Die Frage ist nicht, wie man mit Russland umgeht. Sondern: Wie viel Demokratievertrauen, wie viel Aufklärung, wie viel westliche Selbstverortung in Deutschland wirklich verankert ist. Und wie viel davon nur Fassade war. Die Geschichte jedenfalls ist nicht vorbei – sie hat gerade erst wieder angefangen.