Nach dem Machtwechsel in Syrien wagt die Bundesregierung einen Balanceakt: Kurz nach dem Sturz des Assad-Regimes werden 60 Millionen Euro an Hilfsprojekten bereitgestellt, um dem kriegsgebeutelten Land beim Wiederaufbau zu helfen.
Die Mittel fließen direkt an UN-Organisationen und NGOs – ein Versuch, das Geld vor den neuen Machthabern zu schützen. Doch die Frage bleibt: Lässt sich ein nachhaltiger Wandel finanzieren, wenn die politische Zukunft so ungewiss ist?
Ein schneller Schritt in unsicheres Terrain
Nur Wochen nach dem Ende der Assad-Ära inspizierten deutsche Diplomaten die seit zwölf Jahren geschlossene Botschaft in Damaskus. Während vor Ort Chaos herrscht, zeigt sich die deutsche Regierung entschlossen, humanitäre Hilfe zu leisten. Entwicklungsministerin Svenja Schulze erklärte:
„Es wäre töricht, diese Möglichkeit verstreichen zu lassen.“
60 Millionen Euro werden umgesteuert, um Projekte für Bildung, Infrastruktur und humanitäre Hilfe zu finanzieren.
Doch der politische Kontext ist heikel: Die neue Führung in Syrien, angeführt von Rebellen der als islamistisch eingestuften HTS-Miliz, verspricht freie Wahlen und eine Übergangsregierung. Ob diese Versprechen eingehalten werden, bleibt fraglich. Die HTS steht weiterhin auf der Liste der terroristischen Organisationen des UN-Sicherheitsrates.
Wohin fließen die Gelder?
Die Hilfsmittel werden gezielt an UN-Programme und etablierte NGOs vergeben. Zu den Projekten gehören:
- Unicef (25 Millionen Euro): Reparatur zerstörter Schulen und psychosoziale Betreuung für Kinder.
- Arche Nova (6 Millionen Euro): Betrieb von Schulen und Unterstützung traumatisierter Kinder.
- UN Women (3 Millionen Euro): Stärkung syrischer Frauenorganisationen.
- UNDP (19 Millionen Euro): Kurzzeitjobs für Binnenvertriebene, die Müll und Trümmer beseitigen oder Solaranlagen errichten.
Zusätzlich stehen sieben Millionen Euro für lokale syrische NGOs bereit, die sich mit Projekten für Verständigung und Frieden bewerben können.
„Die humanitäre Situation der Bevölkerung ist katastrophal“, so Schulze. „Jetzt zu zögern, würde spätere Fortschritte verhindern.“
Ein hohes Risiko mit ungewissem Ausgang
Die politische Unsicherheit bleibt der größte Schwachpunkt dieses Einsatzes. Sollte die HTS ihre Macht nutzen, um Frauen zu diskriminieren oder Minderheiten zu verfolgen, wären die deutschen Gelder nicht nur verloren, sondern könnten indirekt zur Stabilisierung eines weiteren fundamentalistischen Regimes beitragen.
„Es gibt keine Garantien“, räumt eine Sprecherin des BMZ ein. Doch Deutschland setzt darauf, mit der Stärkung der Zivilgesellschaft eine Basis für langfristige Stabilität zu schaffen. Besonders die Verknüpfung der Hilfen an Bedingungen – etwa ein Bildungssystem ohne Ideologie oder Diskriminierung – zeigt, dass die Bundesregierung nicht bedingungslos handelt.
Entwicklungshilfe als politisches Werkzeug?
Neben der humanitären Dimension verfolgt Deutschland auch strategische Ziele. Eine Stabilisierung Syriens könnte mittelfristig die Rückkehr von Flüchtlingen erleichtern – ein politisch sensibles Thema. Angesichts steigender innenpolitischer Debatten über Migration dürfte dies in Berlin eine nicht unwesentliche Rolle spielen.