14. November, 2024

Wirtschaft

Deutschlands Industrie im Abwärtssog – Bürokratie-Wachstum als paradoxer Gewinner

Die deutsche Wirtschaft leidet unter Auftragsflaute und Zukunftsängsten. Während Industriezweige wie Maschinenbau und Metall kaum noch Hoffnung schöpfen, erfreuen sich Beratungs- und Rechtsdienstleistungen am Boom staatlicher Bürokratieanforderungen.

Deutschlands Industrie im Abwärtssog – Bürokratie-Wachstum als paradoxer Gewinner
Während Industriezweige Aufträge verlieren, erleben Rechts- und Steuerberater einen Nachfrageboom. Hohe Bürokratie- und Regulierungsanforderungen sichern ihnen volle Auftragsbücher.

Die Alarmglocken schrillen leise, aber unaufhaltsam: Die deutsche Wirtschaft sieht sich mit einer schleichenden Krise konfrontiert, wie es sie seit Jahrzehnten nicht gegeben hat.

Während der Maschinenbau und die Metallindustrie über dramatischen Auftragsmangel klagen, gibt es eine Branche, die von der Lage profitiert: Rechts- und Steuerberater sowie Wirtschaftsprüfer verzeichnen Rekordnachfrage – dank des unaufhörlich wachsenden Bürokratieapparats in Deutschland.

Laut einer Untersuchung des Münchener Ifo-Instituts sind die Aussichten düster: Fast jedes zweite Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe berichtet von fehlenden Aufträgen – ein erschreckender Wert, wie ihn Deutschland zuletzt in der Finanzkrise 2009 erlebte.

„Kaum eine Branche bleibt von dem Auftragsmangel verschont“, erklärt Klaus Wohlrabe, Leiter der Konjunkturumfragen am Ifo-Institut.

Doch das Problem liegt tiefer: Es ist nicht nur die Auftragslage, die Sorgen bereitet, sondern die strukturelle Schwäche, die immer sichtbarer wird.

Ein Standort mit gravierenden Schwächen

In den vergangenen Jahrzehnten galt die deutsche Industrie als wirtschaftliches Rückgrat Europas. Doch in den Kernbranchen wie Maschinenbau und Automobilindustrie zeichnen sich tiefe Risse ab.

Trotz des früheren Exporterfolgs verzeichnet die deutsche Industrie heute die höchste Auftragsflaute seit der Finanzkrise 2009. Besonders betroffen: Maschinenbau und Metallindustrie, einst tragende Säulen der Wirtschaft.

Die drohenden Strafzölle unter einem neu gewählten US-Präsidenten Donald Trump könnten diese Entwicklung weiter verschärfen. Schon jetzt müssen Experten ihre Wachstumsprognosen für Deutschland immer wieder nach unten korrigieren – ein beunruhigendes Signal für die Zukunft.

Im Oktober meldeten 41,5 Prozent der deutschen Unternehmen, dass die Auftragsbücher bedrohlich leer sind. Der höchste Stand seit der Finanzkrise. Die deutsche Industrie, die sonst für Exportstärke steht, sieht sich mit stagnierenden oder rückläufigen Zahlen konfrontiert.

Besonders betroffen: die Metall- und Elektroindustrie, die seit Jahren als Fundament der deutschen Wirtschaft gilt.

Ironisches Wachstum im Schatten der Bürokratie

Ironischerweise gibt es eine Branche, die von der Krise kaum betroffen ist. Rechts- und Steuerberater sowie Wirtschaftsprüfer verzeichnen regen Zulauf. Der Grund? Der anhaltend hohe Bürokratie- und Regulierungsaufwand, der viele Unternehmen dazu zwingt, externe Beratung einzukaufen.

Klaus Wohlrabe vom Ifo-Institut sieht hier eine paradoxe Entwicklung: „Der Mangel an Aufträgen in der Industrie führt dazu, dass Unternehmen verstärkt die Unterstützung durch Berater und Prüfer suchen, um sich durch die Bürokratielast zu kämpfen.“


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Damit offenbart sich ein grundlegendes Problem des Standorts Deutschland: Während innovative Industrien ums Überleben kämpfen, wächst der Beratungsbedarf durch ein immer undurchschaubareres Regelwerk.

Dienstleistungssektor stabilisiert das BIP – vorerst

Der Dienstleistungssektor, der sich deutlich robuster zeigt, verhindert derzeit ein noch größeres Abrutschen der gesamten Wirtschaft. Das Wirtschaftswachstum stagnierte im dritten Quartal 2024 bei mageren 0,2 Prozent, nachdem es im zweiten Quartal sogar leicht geschrumpft war.

Mit anderen Worten: Ohne den Dienstleistungssektor wäre Deutschland bereits tiefer in der Rezession angekommen.

Doch auch hier gibt es Anzeichen einer Eintrübung. Rund 32 Prozent der Dienstleistungsunternehmen berichten von schwachen Auftragszahlen, und besonders im Bereich der Zeitarbeit und Gastronomie macht sich die Verlangsamung der Wirtschaft bemerkbar.

Personalagenturen verzeichnen Auftragsrückgänge, und mehr als ein Drittel der Gastronomiebetriebe kämpft mit geringer Nachfrage.

Ein fragiles Wirtschaftssystem in einem gefährlichen Umfeld

Die derzeitige Wirtschaftskrise unterscheidet sich grundlegend von früheren. Statt eines großen Schocks, wie ihn die Lehman-Pleite 2008 oder der New-Economy-Crash 2001 auslösten, ist es der schleichende Charakter der Krise, der Politik und Wirtschaft beunruhigt.

Die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg setzten zwar deutliche Zeichen, doch die erhoffte Erholung blieb aus. Immer mehr Experten warnen, dass das deutsche Wirtschaftssystem in einer strukturellen Sackgasse steckt.

Moritz Schularick, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, spricht offen von einem der „ökonomisch schwierigsten Momente in der Geschichte der Bundesrepublik“. Die Wahl Trumps und die damit drohenden protektionistischen Maßnahmen könnten das Wirtschaftswachstum weiter belasten, so Schularick.


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Der Kieler Ökonom fordert eine grundlegende Reform der deutschen Wirtschaftspolitik, um die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen.

Bürokratieabbau als Schlüsselfrage

Während die Industrie um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit kämpft, bleibt Deutschland durch seine dichten Bürokratiestrukturen schwerfällig und wenig anpassungsfähig. Hohe Abgaben und komplizierte Genehmigungsverfahren machen es für Unternehmen zunehmend schwer, mit den dynamischeren Märkten im Ausland mitzuhalten.

Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, sieht darin eine der Hauptursachen für die Misere: „Die politische Strukturkrise ist nicht mehr zu übersehen. Der Abbau bürokratischer Hürden wäre ein zentraler Hebel, um der Industrie Luft zum Atmen zu verschaffen.“