40% der Studenten ziehen Auslandsaufenthalt in Betracht
Deutschland könnte in den kommenden Jahren eine Welle hochqualifizierter Abwanderung erleben. Laut einer aktuellen Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, die mehr als 2000 Studierende befragte, können sich 40 Prozent der Studenten vorstellen, für ihre Karriere ins Ausland zu ziehen. Das ist eine deutliche Steigerung von 50 Prozent im Vergleich zu 2022.
Die Umfrage zeigt, dass der Drang, die Heimat zu verlassen, sowohl bei Männern (42 Prozent) als auch bei Frauen (40 Prozent) gleichermaßen gewachsen ist.
Industriekrise befeuert Abwanderung
Ein zentraler Faktor für diese Entwicklung ist die schwächelnde deutsche Industrie. Die Automobilbranche, lange Zeit das Rückgrat der Wirtschaft, befindet sich im Umbruch. Unternehmen wie Bosch, Schaeffler und die ZF Group haben 2024 Stellenstreichungen und Werksschließungen angekündigt, während Volkswagen mit massiven Sparmaßnahmen auf sich aufmerksam machte.
Besonders betroffen sind Studierende der Ingenieurwissenschaften und Informatik, die etwa ein Viertel der Befragten ausmachen.
Jan-Rainer Hinz, Geschäftsführer und Leiter Personal bei EY, betont:
„Die Unsicherheiten in der Industrie wirken sich deutlich auf die Karriereplanung aus. Viele Studierende suchen Alternativen jenseits der Landesgrenzen.“
Bessere Gehälter locken ins Ausland
Neben den wirtschaftlichen Unsicherheiten spielen finanzielle Anreize eine große Rolle. Auswanderer profitieren oft von höheren Gehältern. Laut einer Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) berichten viele, dass sie nach einem Wegzug aus Deutschland eine deutliche Steigerung ihrer Lebenszufriedenheit erleben.
Besonders bei Singles ist der Effekt ausgeprägt. Zwei Jahre nach dem Umzug ins Ausland fühlen sich Auswanderer deutlich glücklicher. Allerdings zeigt sich, dass dieser Effekt mit der Zeit abnimmt.
Fakten auf einen Blick:
- Auswanderungsbereitschaft: 40 % der deutschen Studierenden ziehen einen beruflichen Neustart im Ausland in Betracht.
- Regionale Unterschiede: In Berlin liegt die Auswanderungsneigung bei 57 %, in Mecklenburg-Vorpommern bei 10 %.
- Industrie im Wandel: Stellenstreichungen in der Automobilbranche belasten die Karriereaussichten junger Ingenieure.
- Höhere Zufriedenheit: Auswanderer berichten laut BiB von einem deutlichen Anstieg der Lebenszufriedenheit – zumindest in den ersten zwei Jahren.
- Warnung an die Wirtschaft: Experten sehen den Fachkräftemangel durch die Abwanderung weiter verstärkt.
Regionale Unterschiede: Wer bleibt, wer geht?
Die Bereitschaft zur Auswanderung ist stark von der Region abhängig. In Berlin gaben 57 Prozent der Befragten an, für den Beruf ins Ausland ziehen zu wollen, während in Mecklenburg-Vorpommern nur zehn Prozent diesen Schritt erwägen. Auch die Bereitschaft, innerhalb Deutschlands umzuziehen, variiert.
So planen in Sachsen-Anhalt 87 Prozent der Studierenden, nach dem Studium in ein anderes Bundesland zu ziehen. Im Saarland liegt dieser Wert hingegen nur bei 44 Prozent.
Die besten Karriereaussichten im Inland sehen die Befragten in Bayern (53 Prozent), gefolgt von Nordrhein-Westfalen (36 Prozent) und Berlin (36 Prozent). Allerdings könnten die Attraktivität dieser Regionen durch die Schwäche der Industrie langfristig leiden, so die Einschätzung von Experten.
Die Folgen für die deutsche Wirtschaft
Die wachsende Auswanderungsbereitschaft der Studierenden könnte die deutsche Wirtschaft vor große Herausforderungen stellen. Nathalie Mielke, Partnerin bei EY, warnt: „Der mögliche Wegzug gut ausgebildeter Fachkräfte ist ein Alarmsignal. Viele Branchen kämpfen schon jetzt mit einem Fachkräftemangel. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, könnte das die wirtschaftliche Erholung weiter erschweren.“
Gleichzeitig sieht Mielke auch positive Aspekte: „Die Bereitschaft, ins Ausland zu gehen, zeigt das Selbstbewusstsein und die internationale Orientierung der jungen Generation. Für Unternehmen bietet das die Möglichkeit, im globalen Wettbewerb um Talente neue Strategien zu entwickeln.“