11. Februar, 2025

Wirtschaft

Deutschland im Bürokratie-Dilemma – warum Unternehmer resignieren

Jeder will Bürokratie abbauen, aber nichts passiert: In Deutschland kämpfen Unternehmen mit ineffizienten Behörden, endlosen Antragsverfahren und widersprüchlichen Regeln. Drei Unternehmer berichten, warum sie fast aufgegeben hätten – und welche Lösungen es gibt.

Deutschland im Bürokratie-Dilemma – warum Unternehmer resignieren
Start-ups und Mittelständler warten oft monatelang auf Genehmigungen und Steuernummern. Ohne diese können sie nicht einmal loslegen – während die Konkurrenz im Ausland längst am Markt ist.

Es gibt Dinge, über die sich in Deutschland jeder einig zu sein scheint. Zum Beispiel, dass der Staat zu kompliziert funktioniert. Parteien versprechen seit Jahren Bürokratieabbau, Unternehmen fordern ihn, und Start-ups verzweifeln an den Abläufen in den Behörden.

Doch während Wahlprogramme die Reduzierung von Vorschriften predigen, wächst die Zahl der Gesetze und Verordnungen weiter.

Gründer, Selbstständige und Mittelständler sind die Leidtragenden. Viele Prozesse dauern nicht nur lange, sondern sind auch unnötig kompliziert. Selbst digitale Lösungen, die während der Corona-Pandemie kurzfristig funktionierten, wurden wieder abgeschafft. Wer in Deutschland ein Unternehmen führt, braucht vor allem eins: Geduld.


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Der Papierkrieg – Start-ups verlieren Zeit

Karl Villanueva, Mitgründer des Berliner Energie-Start-ups Ostrom, kennt das Problem aus erster Hand. Sein Unternehmen stellt europaweit Mitarbeiter ein – doch in Deutschland blockieren altmodische Vorgaben den Prozess.

„Bestimmte Dokumente müssen auf Papier unterschrieben werden, per Post verschickt und dann wieder zurückkommen. Manchmal dauert das Wochen“, sagt er.

In der Vergangenheit seien wichtige Unterlagen verloren gegangen. „Wir mussten ein Dokument zuletzt dreimal verschicken – am Ende sogar als Paket“, erzählt Villanueva.

Was ihn besonders stört: Während der Corona-Pandemie wurden digitale Signaturen vorübergehend akzeptiert. „Das hat wunderbar funktioniert. Aber anstatt daraus zu lernen, sind wir wieder zurück in die Steinzeit gegangen.“

Neue Gesetze, alte Probleme

Das zum Jahresbeginn 2025 in Kraft getretene „Bürokratieentlastungsgesetz IV“ sollte Erleichterung bringen. Laut Bundesregierung soll es der Wirtschaft jährlich fast eine Milliarde Euro an Bürokratiekosten ersparen. Doch bei genauem Hinsehen bleibt vieles beim Alten.

Ein Beispiel: Arbeitgeber dürfen die wesentlichen Bedingungen eines Arbeitsvertrags nun per E-Mail übermitteln – aber nur bei unbefristeten Verträgen. Befristete Verträge müssen weiterhin ausgedruckt, per Hand unterschrieben und in Papierform aufbewahrt werden.

Christoph Stresing, Geschäftsführer des Start-up-Verbands, nennt das einen „Tropfen auf den heißen Stein“. Seine Analyse: „Das Problem ist nicht nur Bürokratie an sich, sondern die Art, wie sie organisiert ist.“ Gesetze, die Prozesse vereinfachen sollen, führen oft nur zu neuen Sonderregelungen – und damit zu noch mehr Unsicherheit.

Behörden ohne Durchblick

Für Agnieszka Walorska, CEO des Fintechs Mika, war der Behördendschungel eine der größten Herausforderungen. Ihr Unternehmen brauchte eine einfache Rückerstattung – doch die Ämter machten ihr das Leben schwer.

„Ein Sachbearbeiter sagte uns, wir könnten unsere Kontodaten per E-Mail durchgeben. Ein anderer bestand darauf, dass wir einen unterschriebenen Brief schicken. Wir haben vier Monate auf unser Geld gewartet“, erzählt sie.

Ein weiteres Problem: Viele Behörden sind telefonisch kaum erreichbar. Unternehmer berichten von Wartezeiten von mehreren Wochen auf Rückmeldungen. Noch schlimmer: Unterschiedliche Sachbearbeiter bewerten denselben Fall oft unterschiedlich. „Es gibt keine einheitliche Linie“, kritisiert Walorska.

Deutschland hält an veralteten Vorschriften fest: Wichtige Dokumente müssen immer noch ausgedruckt, unterschrieben und per Post verschickt werden. Selbst Corona-Erleichterungen wurden wieder abgeschafft.

Flaschenhals: wenig Personal, viele Vorschriften

Lange Bearbeitungszeiten sind für Unternehmen nicht nur nervig – sie kosten Geld. Viele Start-ups müssen monatelang auf eine Steuernummer warten, bevor sie überhaupt geschäftsfähig sind.

Marie-Christin Kamann, CEO von Quitt, erlebt regelmäßig, wie Behörden an ihren eigenen Strukturen scheitern. „Man ist darauf angewiesen, dass Menschen telefonisch erreichbar sind. Aber das ist quasi unmöglich“, sagt sie.

Das Kernproblem: Viele Ämter sind unterbesetzt, Anträge stapeln sich. Anstatt Prozesse effizienter zu gestalten, führen Behörden zentrale Sammelpostfächer ein – die Bearbeitung dauert dann noch länger.

„Es gibt eine hohe Varianz bei der Interpretation von Regeln. Unterschiedliche Behörden entscheiden unterschiedlich über denselben Sachverhalt“, sagt Kamann.

Bürokratieabbau – aber wie?

Die meisten Unternehmer wünschen sich nicht weniger Regeln, sondern mehr Klarheit. Dazu gehören vor allem verbindliche Fristen für Behörden. Eine mögliche Lösung: die sogenannte „Genehmigungsfiktion“. Wenn ein Amt eine Anfrage nicht innerhalb einer bestimmten Zeit bearbeitet, gilt sie automatisch als genehmigt.

Auch die digitale Verwaltung könnte Unternehmen entlasten – wenn sie konsequent umgesetzt wird. Bislang gibt es zwar viele digitale Antragsformulare, aber oft müssen Dokumente zusätzlich ausgedruckt und unterschrieben werden.

Kamann sieht noch eine weitere Lösung: Start-ups, die sich auf bürokratische Prozesse spezialisiert haben. Ihr Unternehmen Quitt übernimmt die Kommunikation mit Behörden für Privathaushalte. Das Problem: Der Staat fördert solche Modelle nicht. „Wir haben überall angeklopft – auch beim Wirtschaftsminister. Immer heißt es, die Idee sei gut, aber man wolle lieber selbst etwas entwickeln“, sagt sie.