Es sind spannende Zeiten in der deutschen Politik, denn der kommende Wahlkampf gewinnt scharfe Konturen. Während in anderen Ländern „blitzschnelle“ Wahlen vorbereitet werden könnten, benötigt Deutschland stolze dreieinhalb Monate, um Parteiprogramme zu formulieren, Stimmzettel zu drucken und Helfer zu mobilisieren. Ein zügigeres Vorgehen, so der oberste Wahlleiter, berge unabschätzbare Risiken. Doch angesichts der üblichen Trägheit politischer Veränderung in Deutschland entwickelt sich das aktuelle politische Geschehen in atemberaubendem Tempo.
Am 6. November kulminierte ein lang schwelender Streit in der Dreierkoalition Deutschlands, als Olaf Scholz, der Bundeskanzler der Sozialdemokraten, Christian Lindner, den Finanzminister und Vorsitzenden der liberalen Freien Demokraten, wegen Disputen über Wirtschafts- und Finanzpolitik entließ. Scholz kündigte an diesem Abend an, sich einem Vertrauensvotum im Januar zu unterziehen und die für September geplante Wahl auf Ende März vorzuziehen.
Doch der Vorschlag von Scholz wurde vom Druck der oppositionellen Christdemokraten und anderen Kräften hinweggefegt, und so entschied er sich nach sechs Tagen für das Unvermeidliche. Die Vertrauensabstimmung, die erste seit zwei Jahrzehnten und insgesamt erst die sechste in der deutschen Nachkriegsgeschichte, wird nun am 16. Dezember abgehalten. Als Kopf einer Minderheitsregierung mit den Grünen erwartet Scholz, diese zu verlieren, was den Weg ebnet, dass der Bundespräsident den Bundestag auflöst und Wahlen für den 23. Februar ausruft.
Tatsächlich hat der Wahlkampf de facto bereits begonnen, wie ein hitziger Schlagabtausch im Bundestag am 13. November zeigte. Scholz verteidigte seine Regierungsbilanz, insbesondere in Bezug auf die Unterstützung der Ukraine, und attackierte jene, die Hilfen für die Ukraine gegen Sozialausgaben ausspielen wollen. Friedrich Merz, der Vorsitzende der Christdemokraten, konterte, indem er Scholz Lebensferne vorwarf und wirtschaftliche Reformen forderte. Lindner bezeichnete seine Entlassung als "Befreiung" und machte seiner Kritik an der Regierung Luft.
In den Umfragen führen die Christdemokraten und ihre bayerische Schwesterpartei, die Christsozialen, mit rund 33 Prozent. Der Wahlausgang und insbesondere das Abschneiden der Freien Demokraten, die die Fünf-Prozent-Hürde nehmen müssen, um im Bundestag zu bleiben, werden die Koalitionsoptionen bestimmen. Trotz eines bemerkenswerten Rückstands in persönlichen Beliebtheitswerten kann Merz auf ein besseres Direktvergleichsergebnis hoffen, was Scholz zum kürzest-dienenden Kanzler der Nachkriegsgeschichte machen könnte.
Der Wahlkampf droht dennoch, die ernsten Herausforderungen Deutschlands zu unterschätzen. Weder Scholz noch Merz haben konkret zu den drohenden wirtschaftlichen Bedrohungen durch eine mögliche Rückkehr Donald Trumps Stellung bezogen. Dabei warnte die Bundesbank vor einem möglichen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um einen Prozentpunkt durch Trumps angedrohte Zölle. Ist Deutschland auf diese Herausforderungen vorbereitet?