24. Februar, 2025

Politik

Der Staat im Reformstau: Wie ein radikaler Behördenumbau Milliarden sparen könnte

Deutschland leistet sich ein unüberschaubares Sozialleistungssystem mit ineffizienter Verwaltung. Experten fordern nun drastische Reformen – von Ministerien-Fusionen bis zu einer digitalisierten Verwaltung. Doch die Politik bleibt zögerlich.

Der Staat im Reformstau: Wie ein radikaler Behördenumbau Milliarden sparen könnte
Mit über 200 verschiedenen Sozialleistungen verliert selbst die Verwaltung den Überblick. Experten fordern eine radikale Reform – doch die Politik zögert.

Ein Sozialstaat mit 200+ Leistungen

Das deutsche Sozialsystem gleicht einem Dschungel aus über 200 verschiedenen Leistungen, verteilt auf unzählige Behörden. Wer Unterstützung beantragen will, muss sich oft an verschiedene Ministerien und Ämter wenden – die kaum miteinander kommunizieren.

Das Ergebnis: ineffiziente Bürokratie, hohe Verwaltungskosten und für viele Bürger ein kaum durchschaubares System.

Ökonomen fordern deshalb eine radikale Reform. Die FDP schlägt vor, ganze Ministerien abzuschaffen und Dutzende Behörden zusammenzulegen. Auch die Union denkt über eine Neustrukturierung nach. Doch was ist tatsächlich machbar? Und wo könnte der Staat wirklich sparen?

FDP und Union: Wer wagt den Schnitt?

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat sich klar positioniert: Mindestens vier Ministerien sollen abgeschafft, 45 Behörden zusammengelegt oder gestrichen werden. Besonders im Fokus steht dabei das Sozialsystem, das derzeit über verschiedene Ministerien verteilt ist.

Auch in der Union gibt es ähnliche Ideen. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei arbeiten laut Berichten an einem Plan, der die Zahl der Ministerien deutlich reduzieren soll.

Dabei könnte das Wirtschaftsministerium für Arbeitsmarktpolitik zuständig werden, während der Bereich Klimaschutz ins Umweltministerium wandern würde. Ein "Super-Sozialministerium" könnte dann für Rente, Familien- und Gesundheitspolitik zuständig sein.

Die Notwendigkeit eines Behördenumbaus ist offensichtlich: "Bis 2030 scheiden fast 25 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Dienst altersbedingt aus", warnt der ehemalige Staatssekretär Christian Ege. Ohne Reform drohe ein "Verwaltungskollaps", da der hohe Arbeitsaufwand mit schrumpfendem Personal kaum noch zu bewältigen sei.

Trotz Rekordausgaben von über 45 Milliarden Euro für das Bürgergeld bleiben viele Bürger in der Armutsfalle. Ein überbürokratisiertes System verhindert echte Anreize zur Eigenständigkeit.

Doch das Problem liegt nicht nur im Personalmangel, sondern auch in einem undurchdringlichen Netz aus Vorschriften. Deutschland hat rund 15.000 Gesetze und 200.000 Verwaltungsvorschriften.

Viele Prozesse sind ineffizient, weil sie auf veralteten Strukturen basieren. Eine Reform müsste nicht nur Behörden zusammenlegen, sondern auch digitale Prozesse einführen und überflüssige Regularien abbauen.

Die gefährliche Lohnfalle für Geringverdiener

Ein weiteres Problem des deutschen Sozialsystems: Wer mehr arbeitet, hat nicht unbedingt mehr Geld in der Tasche. Die sogenannten Transferentzugsraten – also die Abzüge, wenn Sozialleistungen bei steigendem Einkommen reduziert werden – sind so hoch, dass sich Mehrarbeit oft nicht lohnt.

Ein Bürgergeld-Empfänger, der seine Arbeitszeit verdoppelt, hat pro zusätzlicher Stunde oft nur zwei Euro mehr im Geldbeutel. In manchen Fällen können sich höhere Löhne sogar negativ auswirken, wenn zusätzliches Einkommen zum vollständigen Verlust von Wohngeld oder Kinderzuschlag führt.

Experten sehen hier dringenden Reformbedarf: "Momentan laufen drei Systeme unkoordiniert und teilweise gegeneinander", kritisiert der Wirtschaftswissenschaftler Ronnie Schöb.

Ein "Super-Sozialministerium" als Lösung?

Die Lösung könnte ein einheitliches Ministerium für alle Sozialleistungen sein. Derzeit sind Bürgergeld, Wohngeld und Kindergeld auf vier verschiedene Ministerien verteilt. Eine Bündelung der Zuständigkeiten könnte das System effizienter und gerechter machen.

Ein solches Modell existierte bereits unter Kanzler Schröder: Von 2002 bis 2005 war das Arbeits- und Wirtschaftsministerium zusammengelegt. Experten sehen darin eine Blaupause für heutige Reformen. Doch die Erfahrung zeigt auch: Ohne langfristige politische Unterstützung sind solche Fusionen oft nicht von Dauer.

Digitalisieren statt Abschaffen

Doch nicht nur strukturelle Reformen sind nötig. Deutschlands Verwaltung hinkt in Sachen Digitalisierung hinterher. Während Länder wie Dänemark oder Estland Behördengänge längst online ermöglichen, setzen deutsche Ämter oft noch auf Papierakten. Eine durchgängige Digitalisierung könnte den Verwaltungsaufwand drastisch reduzieren.

Ein Beispiel ist das dänische Modell: Dort existieren weniger als 40 Sozialleistungen, die über eine einzige Plattform abrufbar sind. Bürger müssen keine Formulare ausfüllen – das System berechnet automatisch, welche Leistungen ihnen zustehen.

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