Ostdeutschland hat seit der Wende beachtliche Fortschritte gemacht. Solarenergie, hohe Frauenerwerbsquoten und eine lebendige Hochschullandschaft – das sind nur einige der Erfolge, die 34 Jahre nach dem Mauerfall sichtbar werden.
„Der Aufbau Ost ist alles andere als gescheitert“, betont Klaus-Heiner Röhl, Ökonom am Institut der deutschen Wirtschaft (IW).
Ostdeutschland hat es geschafft, sich als vielversprechender Wirtschaftsstandort zu etablieren – in einigen Bereichen hat es den Westen sogar übertroffen.
Doch diese positiven Entwicklungen können die tiefen strukturellen Probleme nicht überdecken. Abwanderung, Überalterung und die fehlende Zuwanderung junger Arbeitskräfte stellen Ostdeutschland vor eine existenzielle Herausforderung.
Während die Bevölkerung in vielen westdeutschen Regionen durch Migration stabil bleibt, gelingt dies im Osten kaum. Besonders auf dem Land ist die Situation dramatisch.
Seit der Wiedervereinigung haben über 1,2 Millionen Menschen den Osten Richtung Westen verlassen. Darunter waren besonders viele junge Menschen im Alter von 18 bis 30 Jahren.
Und obwohl das Wanderungssaldo in den letzten Jahren ausgeglichen war, zeichnet sich nun wieder ein negativer Trend ab: 2023 zogen erneut mehr Menschen in den Westen als umgekehrt – die Zahlen sind klein, aber sie zeigen, dass sich der Trend nicht umkehrt.
Der Osten überaltert und verliert an Kraft
Neben der Abwanderung sorgt auch die Alterung der Bevölkerung für Probleme. In Ostdeutschland ist die Überalterung der Gesellschaft bereits spürbar: Weniger junge Menschen bedeuten weniger Arbeitskräfte, weniger Steuerzahler und damit ein geringeres Wachstumspotenzial für die Wirtschaft. Und im Gegensatz zu westlichen Ballungszentren wird diese Lücke im Osten nicht durch Zuwanderung aus dem Ausland geschlossen.
Die Bundesagentur für Arbeit meldet bereits rückläufige Beschäftigungszahlen unter deutschen Arbeitnehmern. Während deutschlandweit die Beschäftigung von Migranten die Gesamtbilanz noch positiv beeinflusst, sieht es in den meisten ostdeutschen Landkreisen anders aus.
„Die Abwanderung und das Altern der Gesellschaft wirken sich negativ auf den Arbeitsmarkt aus. Besonders auf dem Land fehlen junge Menschen, um die Lücken zu füllen“, erklärt Vanessa Ahuja von der Bundesagentur für Arbeit.
Leipzig – ein Hoffnungsschimmer
Doch es gibt einen Lichtblick: Leipzig. Die Universitätsstadt trotzt dem Trend und verzeichnet als einzige ostdeutsche Stadt einen Anstieg der Beschäftigungszahlen unter deutschen Arbeitnehmern.
Universitäten, Start-ups und ein wachsender Kultursektor ziehen junge Menschen an und halten sie in der Stadt. Es ist ein Modell, das auch für andere Städte im Osten inspirierend sein könnte.
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Dennoch bleibt die Herausforderung enorm. Die Einkommensunterschiede zwischen Ost und West sind weiterhin gravierend: Im Schnitt verdienen Arbeitnehmer im Osten 16 Prozent weniger als im Westen.
Dieses Lohngefälle ist ein wesentlicher Grund für die anhaltende Abwanderung, besonders bei jungen Fachkräften. „Die großen Baustellen im Osten sind die zu niedrige Produktivität und das Gefühl, benachteiligt zu sein“, so die Autoren einer Studie der Bertelsmann-Stiftung.
Die Zukunft der ostdeutschen Wirtschaft
Während Carsten Schneider, der Ostbeauftragte der Bundesregierung, die guten Perspektiven für junge Ostdeutsche hervorhebt, bleibt das Problem des Stadt-Land-Gefälles ungelöst. Die Ballungsräume boomen, doch der ländliche Raum blutet weiter aus. Für viele bleibt der Osten ein Wirtschaftsraum mit Potenzial – aber nur, wenn es gelingt, die Abwanderung zu stoppen und junge Menschen in der Region zu halten.