17. November, 2024

Wirtschaft

Das Unsichtbare greifbar machen: Rätselraten um den neutralen Zinssatz

Das Unsichtbare greifbar machen: Rätselraten um den neutralen Zinssatz

Die Aktienmärkte erleben seit der Wahl einen Höhenflug, während Anleihen sich im Spannungsfeld von Optimisten und Pessimisten befinden. Beide Märkte suchen nach Hinweisen darauf, welchen Kurs die US-Wirtschaft unter der künftigen Trump-Regierung einschlagen wird.

Im Fokus steht dabei ein heiß diskutiertes Thema, das sowohl die Ökonomen der Fed als auch die Wall Street in Atem hält: der neutrale Zinssatz. Dieses mythenumwobene Konzept, das noch niemand gesehen, aber dessen Existenz unumstritten ist, wird unter Experten oft gleichgesetzt mit sagenhaften Kreaturen wie dem Yeti.

Kathy Jones, leitende Anlagestrategin bei Schwab, beschrieb den neutralen Zinssatz im Yahoo Finance-Podcast "Stocks in Translation" treffend als "den Sasquatch der Finanzwelt."

Der neutrale Zinssatz lässt sich einfach erklären: Es ist der Zinssatz, der die Wirtschaft weder ankurbelt noch bremst. Ein idealer Punkt, an dem das Wirtschaftswachstum und die Inflation im Gleichgewicht sind. Zu niedrige Zinsen könnten zur Überhitzung führen, während zu hohe das Wachstum abwürgen.

Der Haken daran: Niemand weiß genau, welcher Zinssatz diese ideale Balance erreicht.

Laut Jones sind historische Daten und Produktivitätskennzahlen relevante Faktoren bei der Bestimmung dieses Wertes. Sollte die Produktivität der Arbeitnehmer steigen, könnte die Wirtschaft wachsen, und das ohne inflationäre Tendenzen.

Neel Kashkari, der Präsident der Minneapolis Fed, hat kürzlich beim Yahoo Finance Invest 2024 Event diese Sichtweise aufgegriffen. Er erklärte, dass in einer Umgebung mit höherer Produktivität der neutrale Zinssatz ebenfalls höher sein sollte.

Unbeobachtbar, aber entscheidend: Der neutrale Zinssatz ist ein richtungsweisender Einflussfaktor für die Geldpolitik der Federal Reserve. Fed-Vorsitzender Jerome Powell betonte in einer Pressekonferenz im September, dass man den neutralen Zinssatz an seiner Wirkung auf die Wirtschaft erkennen könne.

Angesichts der aktuellen Zinssenkungen deutet ein höherer neutraler Zinssatz darauf hin, dass die Fed keine drastischen Maßnahmen ergreifen muss. Im umgekehrten Fall wären aggressivere Zinssenkungen notwendig.

Aktuell scheint die Anlegergemeinschaft eine Anpassung ihrer Erwartungen hinsichtlich eines höheren neutralen Zinssatzes vorzunehmen. Während die Fed im September mit einer Senkung auf 2,8% rechnete, sieht der Markt inzwischen eine kleinere Anzahl an Zinssenkungen und erwartet im kommenden Jahr eine Spanne von 3,75% bis 4%.