Inmitten eines wirtschaftlichen Aufschwungs, der Italien schneller aus der Pandemiekrise führt als seine europäischen Nachbarn, konfrontiert eine alarmierende Statistik die Italiener mit einer unbequemen Wahrheit: Die absolute Armut erreicht den höchsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen.
Fast ein Zehntel der Bevölkerung kann sich keinen akzeptablen Lebensstandard mehr leisten. Diese Entwicklung ist paradox, da Italien gleichzeitig ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum vorweist, angetrieben durch den Tourismus und europäische Fonds.
Vom Experiment zum Umdenken
2019 wurde das italienische Bürgergeld mit großen Hoffnungen eingeführt, ein Projekt der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung, das ein soziales Sicherheitsnetz für die Ärmsten versprach.
Doch die Realität hielt nicht, was das Wahlversprechen versprach. Das Bürgergeld, komplex in der Handhabung und mit zahlreichen Hürden versehen, erreichte viele Bedürftige nicht und förderte bei anderen die Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung, ohne den Anreiz zur Arbeitsaufnahme zu verstärken.
Die Kritikpunkte am italienischen Modell
Das italienische Modell stieß schnell an seine Grenzen: Ausgrenzung vieler Bedürftiger aufgrund strenger Wohnsitzanforderungen, unzureichende Unterstützung für größere Haushalte und eine demotivierende Anrechnungspraxis bei der Arbeitsaufnahme.
Diese Schwächen lieferten der rechtsnationalen Regierung von Giorgia Meloni die Argumente, das System abzubauen, und ersetzten es durch eine zielgerichtetere, aber auch kritisch gesehene Förderung.
Lehren für Deutschland
Die Erfahrungen Italiens mit dem Bürgergeld spiegeln die aktuellen Herausforderungen und Diskussionen in Deutschland wider. Auch hierzulande wird kritisch hinterfragt, inwiefern das Bürgergeld den Anreiz zur Arbeitsaufnahme beeinflusst und ob die Unterstützung bedürftige Haushalte angemessen erreicht.
Die deutschen Entscheidungsträger stehen vor der Aufgabe, aus den italienischen Fehltritten zu lernen und ein System zu gestalten, das Armut effektiv bekämpft, ohne dabei die Integration in den Arbeitsmarkt zu vernachlässigen.
Zwischen Unterstützung und Selbstverantwortung
Die Abschaffung des Bürgergelds in Italien und die darauffolgenden sozialpolitischen Anpassungen werfen ein Schlaglicht auf die Schwierigkeit, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen staatlicher Unterstützung und der Förderung von Selbstverantwortung und Eigeninitiative zu finden.
Während Italien versucht, durch strengere Bedingungen für die Sozialleistungen und Fokussierung auf Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen eine neue Balance zu finden, muss auch Deutschland eine Lösung suchen, die sowohl unterstützt als auch motiviert.
Die Zukunft der Sozialpolitik
Die Entwicklung in Italien ist mehr als eine nationale Angelegenheit; sie ist ein Warnsignal und gleichzeitig ein Lehrstück für andere Länder, einschließlich Deutschland.
Die Suche nach einer effektiven und gerechten Sozialpolitik, die Armut bekämpft, ohne Abhängigkeiten zu fördern, erfordert einen offenen und konstruktiven Dialog zwischen allen gesellschaftlichen Akteuren.
Es ist an der Zeit, innovative Lösungen zu finden, die den sozialen Zusammenhalt stärken und gleichzeitig die Eigenverantwortung fördern. Die italienische Erfahrung zeigt deutlich, dass die richtige Balance entscheidend ist – und dass es keine einfache Lösung gibt.