Im anhaltenden Wirecard-Skandal gerät die Rolle der Finanzaufsicht und der Ermittler weiter ins Visier. Über ein Jahr vor dem Zusammenbruch des Zahlungsdienstleisters informierte die Commerzbank sowohl Finanzermittlungsbehörden als auch die Finanzaufsicht über den Verdacht krimineller Machenschaften bei Wirecard. Eine Betrugsspezialistin der Bank berichtete am Donnerstag im Münchner Wirecard-Prozess, dass über ein Jahr keine Rückmeldung oder Reaktion seitens der Ermittler erfolgte.
Die Commerzbank selbst fiel ebenfalls dem Betrug zum Opfer. Trotz der Absicht, die Geschäftsbeziehung zu Wirecard zu beenden, war dieser Schritt bis zum Kollaps des Unternehmens im Sommer 2020 nicht abgeschlossen. Wie der frühere Risikovorstand Marcus Chromik angab, hatte eine Spezialistin der Bank 340 verdächtige Überweisungen in Höhe von insgesamt 350 Millionen Euro identifiziert. Ein besonders auffälliger Punkt: 19 Wirecard-Partnerfirmen waren alle in demselben Wolkenkratzer in Singapur (111 North Bridge Road) angesiedelt und wurden von denselben Personen geführt, jedoch in verschobenen Funktionen.
Aufgrund der gravierenden Verdachtsmomente meldete die Commerzbank die Fälle im Februar 2019 der FIU, der zentralen Stelle für Finanztransaktionsuntersuchungen. Doch es blieb still seitens der Behörde. Auch die BaFin wurde informiert. Rückblickend schilderte Marcus Chromik, dass die Bank im Frühjahr 2019 einen "soft exit" beschloss, um die Geschäftsbeziehungen zu Wirecard schrittweise zu beenden. Die Commerzbank war mit einem Darlehensanteil von 200 Millionen Euro Konsortialführerin eines Kreditrahmens von 1,75 Milliarden Euro für Wirecard.
Trotz intensiver interner Diskussionen war eine sofortige Kündigung des Kreditvertrags rechtlich nicht durchsetzbar. Auch der Verkauf des Kreditengagements war aufgrund der Verdachtsmomente komplex. Man beschloss, bei der nächsten Verlängerung des Konsortialkredits auszusteigen. Dann jedoch meldete Wirecard Insolvenz an, und das Geld war größtenteils verloren. Chromik merkte abschließend an, dass im Frühjahr 2019 die BaFin und deutsche Justiz vielmehr prüften, ob Wirecard Ziel krimineller Machenschaften von Aktienspekulanten sein könnte, anstatt den Verdacht der Commerzbank nachzugehen.
Die Anklage gegen den früheren Vorstandschef Markus Braun und zwei Mitangeklagte wegen gezielten Betrugs bleibt bestehen. Braun, seit vier Jahren in Untersuchungshaft, bestreitet sämtliche Vorwürfe. Chromik betonte abschließend, dass der Exit aus einem DAX-Konzern zu diesem Zeitpunkt ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Bank gewesen wäre und man die Risiken damals sorgsam abwägte.