Ein chinesischer Pass in Donezk
Der Moment war brisant – und symbolträchtig: Zwei Männer, asiatischer Herkunft, Uniform, festgenommen in der umkämpften Region Donezk. Auf einem Video, das vom ukrainischen Präsidialamt verbreitet wurde, wirken die Szenen unspektakulär. Und doch schlagen sie geopolitisch hohe Wellen.
Denn laut Präsident Wolodymyr Selenskyj handelt es sich bei den Gefangenen um chinesische Staatsbürger – Kämpfer, die aufseiten Russlands gegen die Ukraine kämpfen. Und sie sind offenbar nicht allein.
155 solcher Fälle habe man namentlich dokumentiert, sagt Selenskyj – mit Pässen, Klarnamen, Identität. Und: Die Männer seien nicht zufällig im Kriegsgebiet gelandet, sondern gezielt angeworben – über Plattformen wie TikTok. Russland nutze die sozialen Medien als Rekrutierungsmaschine.
Das „chinesische Problem“, so der Präsident wörtlich, sei ernst. Es könnte den Charakter des Krieges verändern – und China stärker in die Verantwortung ziehen, als es Peking lieb sein dürfte.
Peking dementiert – und reagiert nervös
Aus dem chinesischen Außenministerium kommt erwartungsgemäß die volle Abwehr. Man habe keine Kenntnis von Kämpfern, keine Einwilligung erteilt, keine Beteiligung initiiert.
Die Ukraine solle die „konstruktive Rolle“ Chinas nicht infrage stellen, heißt es. Doch diese Rhetorik wirkt bekannt – und zunehmend brüchig. Denn offiziell inszeniert sich China seit Kriegsbeginn als neutrale Macht, die zwischen Russland und der Ukraine vermittelt.

In der Praxis jedoch hat Peking seine Zusammenarbeit mit Moskau in fast allen Bereichen intensiviert: Energie, Infrastruktur, Rüstungsgüter, Dual-Use-Technologie. Es ist eine Partnerschaft ohne Waffenlieferungen – bislang.
Die Frage ist: Wenn chinesische Staatsbürger mit Wissen der Behörden für Russland kämpfen – wo verläuft dann die rote Linie zwischen „nicht staatlicher Beteiligung“ und indirekter Kriegsteilnahme?
Von TikTok an die Front – die neue Rekrutierungsstrategie
Dass Söldner heute nicht mehr nur in dunklen Hinterzimmern angeworben werden, ist längst Realität. Doch dass TikTok, die weltweit meistgenutzte App chinesischen Ursprungs, nun als Plattform für russische Söldner-Werbung dient, ist ein diplomatischer Sprengsatz.
Laut ukrainischen Sicherheitsdiensten kursieren auf der Plattform gezielte Werbeclips, in denen russische Kämpfer ihren Alltag zeigen – martialisch, dramatisiert, mit dem Versprechen von Abenteuer und „Sinn“.
Der Verdacht: Diese Clips sind Teil einer hybriden Kriegsführung – mit dem Ziel, junge Männer aus ökonomisch schwächeren Regionen Asiens für den Krieg gegen die Ukraine zu gewinnen.
Die Bezahlung? Laut Insidern bis zu 3.000 Dollar monatlich, plus Bonuszahlungen. Für viele ein lukratives Angebot. Für Russland ein Kalkül – und für China ein diplomatisches Dilemma.
Geopolitisches Minenfeld
Der Einsatz chinesischer Kämpfer rührt an einem der empfindlichsten Punkte der globalen Ordnung. Denn wenn eine offiziell neutrale Großmacht durch ihre Bürger de facto Teil eines Krieges wird, verliert sie nicht nur ihre Vermittlerrolle. Sie steht auch im Widerspruch zum eigenen außenpolitischen Narrativ.
Noch brisanter ist, dass Peking bereits mit Nordkorea in einem Boot sitzt: Nach Angaben westlicher Geheimdienste befinden sich seit Monaten bis zu 10.000 nordkoreanische Soldaten auf russischem Boden – offiziell als „Infrastrukturhelfer“ deklariert, de facto aber auch im Kampfeinsatz.
Kiew hatte im Dezember 2024 bereits nordkoreanische Soldaten gefangen genommen. Nun also China. Schrittweise scheint sich ein Block zu formieren, der jenseits westlicher Werteordnung agiert – asymmetrisch, undurchsichtig, aber nicht minder schlagkräftig.
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Reaktionen aus Europa? Fehlanzeige.
Während Selenskyj in drastischen Worten eine internationale Reaktion fordert, bleibt es im Westen auffallend still. Weder aus Berlin noch aus Paris kommen bislang klare Stellungnahmen. Brüssel äußerte sich lediglich „besorgt“ über die möglichen Entwicklungen – ein diplomatischer Reflex ohne Substanz.
Dabei steht viel auf dem Spiel: Sollte sich bewahrheiten, dass chinesische Staatsbürger in nennenswerter Zahl für Russland kämpfen – mit Billigung oder stiller Duldung durch Peking –, würde das den Charakter des Krieges verändern. Dann wäre der Konflikt nicht mehr nur ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine, sondern ein Stellvertreterkrieg mit systemischer Dimension: Demokratie gegen Autokratie, Westen gegen einen neu geformten östlichen Machtblock.
Selenskyjs Poker – und die Frage nach der Eskalation
Die Ukraine hat unterdessen angekündigt, die gefangen genommenen Chinesen gegen ukrainische Kriegsgefangene austauschen zu wollen. Ein symbolischer Schachzug – aber auch ein Spiel mit dem Feuer. Denn jede weitere Eskalation erhöht das Risiko, dass China seine Position offiziell überdenkt. Noch spricht Peking von „Einzelfällen“ – doch wie lange noch?