Die Schlange vor der Brixton Academy reichte um den Block, als Chappell Roan, die neueste Popsensation, ihre Londoner Fans begeisterte. Beliebte Accessoires wie niedliche Teufelshörner und glitzernde Cowboyhüte zierten das Publikum, während Dragqueens auf der Bühne beeindruckende Tanzeinlagen darboten. Eine freundliche Nachbarin in der Menge brachte dem Korrespondenten die Handgesten der Ballsaalkultur bei, darunter das schnelle Schnippen der Finger, das eine Art 'du rockst, Mädchen'-Bedeutung hat.
Mit 5.000 Besuchern, überwiegend Mädchen und junge Frauen sowie einer starken LGBT+-Community, fieberten alle der Performance von Chappell Roan entgegen. Vor einem Jahr wurde die Sängerin noch in dem kleinen Londoner Nachtclub Heaven vorgestellt, doch seitdem hat sie mit ihrem Album 'The Rise and Fall of a Midwest Princess' den Durchbruch geschafft. Das Album, das 2023 veröffentlicht wurde, erreichte diesen Sommer seinen Höhepunkt in den Charts. Ihre Songs haben TikTok und Streaming-Plattformen im Sturm erobert, und die etablierten 'Pop-Mädchen' wie Charli, Olivia, Sabrina und Billie haben sie in ihre Reihen aufgenommen.
Roan, die mit bürgerlichem Namen Kayleigh Amstutz heißt, sieht sich selbst als 'Drag-Projekt'. In ihrem Hit 'Pink Pony Club' beschreibt sie einen 'besonderen Ort, an dem Jungen und Mädchen jeden Tag Königinnen sein können' – dieser besondere Ort ist die Popmusik. Entkommen aus einer unglücklichen Kultur des Mittleren Westens, hat Roan in der Mädchen- und Schwulenszene der Popmusik Freiheit gefunden. Jetzt in Los Angeles ansässig, führt die 26-Jährige eine Tradition fort, die bis zu Lady Gaga und Madonna zurückreicht.
Bei ihrem ersten von drei Londoner Konzerten zeigte sie sich gewappnet für die großen Fußstapfen, in die sie tritt. Ursprünglich als Teil ihrer Europatournee gebucht, zeigte das mittelgroße Venue den Zeitverzug hinter ihrer rasant wachsenden Popularität. In einem roten, fransigen Body und Cowboystiefeln vor einer dreiköpfigen Band begeisterte sie die Menge mit ihrer ungehemmten Energie.
Roans unfertiges Set-up passte zu ihrem Stil: Sie wirkte ungezähmt und lebendig, sprang über die Bühne, drehte sich und fiel auf die Knie. Ihre Songs wurden durch eine Mischung aus theatralischen Augenrollen und kraftvoller Vokaldarbietung veranschaulicht, wie man es von einer wahren Power-Sängerin erwartet.
Das Publikum sang bei 'Femininomenon' wortwörtlich mit, ein Song, der eine witzige Abrechnung mit nutzlosen Männern und trostlosen heterosexuellen Beziehungen ist. Erschaffen mit Olivia Rodrigos Produzent Daniel Nigro, bewegte sich der Song am Rande zur Kitschigkeit. Andere Tracks zeigten jedoch Roans seltene Fähigkeit, das oft gegensätzliche Zusammenspiel von Camp und Emotion zu vereinen. Ihre Darbietung in 'Red Wine Supernova' verlieh einem komischen Clubszenario eine zusätzliche Tiefe.
Begleitet wurde sie von Andrea Ferrero an der Gitarre, Allee Futterer am Bass und Lucy Ritter am Schlagzeug. Musikalisch reichte die Bandbreite von poppigen Sprechgesangsnummern über ballroom-taugliche und Gaga-ähnliche Titel wie 'Super Graphic Ultra Modern Girl' bis hin zu Balladen wie 'Picture You', die Roans beeindruckende stimmliche Reichweite hervorhoben. Ihre tieferen Register verliehen ihr eine geheimnisvolle Note, während die höchsten Töne die richtige Portion Emotion transportierten. Ihre charismatische Bühnenpräsenz, erstklassiger Gesang und mitreißende Songs setzten dabei neue Akzente im zeitgenössischen Queer-Pop.