Eine neue Front im Wahlkampf
Mit scharfen Worten hat Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) eine Offensive gegen Desinformation angekündigt, die sich insbesondere auf soziale Netzwerke fokussiert. Kurz vor der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar 2025 sorgt sein Begriff „ungefilterte Meinungen“ für Unruhe.
Ziel der Maßnahmen sei es, Falschnachrichten und manipulierte Inhalte schneller zu erkennen und ihre Verbreitung zu unterbinden.
Doch die geplanten Schritte werfen drängende Fragen auf – über den Schutz demokratischer Prozesse, die Rolle des Staates und die Grenzen der Meinungsfreiheit.
„Falschnachrichten verbreiten sich heute schneller als je zuvor,“ sagte Poseck in einer Pressekonferenz in Wiesbaden. „Soziale Medien sind eine Brutstätte ungefilterter Meinungen, darunter auch gezielte Falschnachrichten. Künstliche Intelligenz und Deepfakes erschweren es zunehmend, Wahrheit von Fälschung zu unterscheiden.“
Lesen Sie auch:
Eine Gratwanderung zwischen Sicherheit und Freiheit
Die geplanten Maßnahmen umfassen unter anderem eine neue Sonderauswertungseinheit beim hessischen Landesamt für Verfassungsschutz, die Desinformationskampagnen erkennen und schneller gegensteuern soll.
Dabei will man insbesondere auf mögliche Einflussnahmen aus dem Ausland reagieren. „Freie und faire Wahlen sind das Herzstück unserer Demokratie. Wir werden alles tun, um Verfassungsfeinden keine Angriffsfläche zu bieten,“ erklärte Bernd Neumann, Präsident des hessischen Verfassungsschutzes.
Insbesondere Russland und andere autokratische Staaten stünden im Verdacht, gezielt das Vertrauen in demokratische Institutionen und Prozesse zu untergraben, so Poseck.
„Wer die Verbreitung von Desinformation in Kauf nimmt oder fördert, arbeitet letztlich gegen unsere Demokratie.“
Doch genau an diesem Punkt entzündet sich Kritik. Gegner der Pläne werfen der CDU vor, mit dem Argument der Sicherheit den Boden für staatliche Zensur zu bereiten.
„Meinungen und Desinformationen zu vermischen, ist ein gefährliches Spiel,“ sagt Gisela Sauer, Sprecherin der Initiative „Digitale Demokratie verteidigen“.
„Jede staatliche Instanz, die entscheidet, was als Desinformation gilt, könnte diese Macht auch missbrauchen.“
„Ungefilterte Meinungen“: Wer entscheidet, was wahr ist?
Besonders der Begriff „ungefilterte Meinungen“ sorgt für Stirnrunzeln. Was genau damit gemeint ist, bleibt unklar. Während Poseck und seine Unterstützer darauf hinweisen, dass gezielte Falschinformationen unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit verbreitet würden, sehen Kritiker darin eine bedrohliche Verwischung von Grenzen.
„Der Begriff selbst ist problematisch,“ sagt Medienwissenschaftler Prof. Dr. Klaus Reinhold. „Meinungen sind per Definition subjektiv und bedürfen keiner ‚Filterung‘. Sobald eine Regierung beginnt, Meinungen als potenzielles Sicherheitsrisiko zu behandeln, bewegen wir uns auf einem gefährlichen Pfad.“
Technologie als Gefahr und Lösung
Ein weiteres Problem, das Poseck betont, ist die zunehmende Nutzung von künstlicher Intelligenz. Deepfake-Videos und manipulierte Inhalte könnten gezielt eingesetzt werden, um Wahlen zu beeinflussen.
Erst im vergangenen Jahr sorgten täuschend echte Deepfake-Aufnahmen von politischen Rednern in Frankreich und den USA für Aufsehen, die mit Millionenaufrufen Verwirrung stifteten.
Poseck setzt deshalb auf Technologie, um Technologie zu bekämpfen. Die geplante Sonderauswertungseinheit soll mit modernster KI ausgestattet werden, um verdächtige Inhalte frühzeitig zu erkennen.
„Es geht darum, die demokratischen Prozesse vor gezielten Angriffen zu schützen,“ so der Minister.
Kritik von politischen Gegnern und Bürgerrechtsorganisationen
Die Opposition reagierte umgehend auf Posecks Ankündigungen. SPD-Generalsekretärin Anna Keller sprach von einem „übergriffigen Ansatz, der nicht zu einer freien Gesellschaft passt“.
Auch die Grünen äußerten Bedenken, dass Maßnahmen gegen Desinformation schnell zu einer Einschränkung legitimer Meinungsäußerungen führen könnten.
„Niemand will, dass Falschnachrichten die Demokratie gefährden. Aber ein solcher Ansatz darf nicht dazu führen, dass der Staat selbst zum Zensor wird,“ so Keller.
Bürgerrechtsorganisationen wie Amnesty International und Reporter ohne Grenzen warnten ebenfalls vor den Risiken einer überzogenen Regulierung. „Das eigentliche Problem liegt nicht bei ‚ungefilterten Meinungen‘, sondern bei der mangelnden Medienkompetenz der Nutzer,“ erklärte ein Sprecher von Amnesty.
Das könnte Sie auch interessieren: