15. Januar, 2025

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Bürgergeld-Sanktionen: Eine härtere Linie, die ins Leere läuft?

Ein Jahr nach der Einführung verschärfter Sanktionsregelungen zeigt eine IW-Recherche: Kein einziger Bürgergeldempfänger wurde vollständig sanktioniert. Bürokratie und fehlende Datenerhebung machen die Maßnahmen wirkungslos.

Bürgergeld-Sanktionen: Eine härtere Linie, die ins Leere läuft?
Trotz der Einführung verschärfter Sanktionsregelungen im Jahr 2024 zeigt eine Umfrage, dass bisher kein Bürgergeldempfänger vollständig sanktioniert wurde. Bürokratische Hürden verhindern die Umsetzung.

Vor gut einem Jahr hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil groß angekündigt, mit schärferen Sanktionsregeln im Bürgergeld gegen „Totalverweigerer“ vorzugehen. Wer sich ohne triftigen Grund weigert, Jobangebote anzunehmen, solle mit harten Konsequenzen rechnen.

Doch eine exklusive Umfrage der InvestmentWeek unter 60 deutschen Jobcentern zeigt: In keinem einzigen Fall wurde bisher der Regelsatz vollständig gestrichen.

Die Realität in den Jobcentern offenbart, dass die Sanktionspraxis kaum Wirkung zeigt. 27 Formulare, zahlreiche Anhörungen und rechtliche Hürden verhindern, dass die vorgesehenen Sanktionen effektiv greifen.

„Wir sehen keine Effekte“, räumt der Leiter eines Jobcenters ein, der anonym bleiben möchte.

Komplexe Bürokratie statt klarer Konsequenzen

Der bürokratische Aufwand, der vor einer Kürzung des Bürgergelds nötig ist, erweist sich als unüberwindbares Hindernis. Bevor überhaupt ein Fall als „Verweigerung“ eingestuft wird, müssen Betroffene schriftlich angehört und dazu befragt werden, warum sie beispielsweise einen Vorstellungstermin nicht wahrgenommen haben.

Eine plausible Erklärung oder ein nachgereichter Krankenschein reichen oft aus, um den Prozess zu stoppen.

Die bürokratischen Anforderungen für eine Bürgergeldkürzung sind enorm. Jobcenter müssen zahlreiche Schritte dokumentieren, bevor eine Sanktion greifen kann – ein aufwendiger Prozess, der oft ins Leere läuft.

Selbst wenn eine Arbeitsverweigerung klar vorliegt, bleibt die Umsetzung schwierig: Arbeitgeber melden selten, dass Kandidaten Arbeitsangebote ablehnen. Vielmehr heißt es häufig, die Bewerber seien „nicht passend“. So verpufft der Versuch, Arbeitsverweigerung zu sanktionieren, im Bürokratie-Dschungel.

Kein dokumentierter Erfolg, aber Millionen-Einsparungen geplant

Das Bundesarbeitsministerium hatte ursprünglich Einsparungen von 170 Millionen Euro durch die schärferen Sanktionen eingeplant.

Doch um diese Summe zu erreichen, hätte bei rund 150.000 Bürgergeldbeziehern der Regelsatz für zwei Monate gestrichen werden müssen. Stattdessen zeigt die Umfrage, dass nicht einmal ein Fall dokumentiert werden kann.

Die fehlende Datenerfassung erschwert zudem jede Transparenz. „Arbeitsminister Heil legt offenbar keinen Wert darauf, die Wirksamkeit seiner Maßnahmen zu überprüfen“, kritisiert Stephan Stracke, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der CSU.

Auch die Bundesagentur für Arbeit (BA) kann nur grobe Durchschnittswerte liefern, die jedoch keinen Rückschluss auf die Zahl der Totalsanktionen zulassen.

Scharfe Kritik aus Opposition und Wirtschaft

Die Kritik an der Wirkungslosigkeit der neuen Sanktionspraxis ist breit gefächert. CDU-Sozialexperte Kai Whittaker bezeichnet die fehlenden Sanktionen als „Armutszeugnis“. Die bisherigen Regelungen untergrüben das Prinzip „Fördern und Fordern“, auf dem das Bürgergeld fußt.


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Auch wirtschaftliche Auswirkungen stehen in der Kritik. „Totalsanktionen können den Haushalt nicht sanieren“, betont Heidi Reichinnek, Vorsitzende der Linken. Das Sparziel von 170 Millionen Euro sei von Anfang an illusorisch gewesen.

Symbolpolitik ohne Substanz?

Die Einführung härterer Sanktionsregelungen sollte ein klares Signal senden: Wer nicht mitzieht, riskiert harte Konsequenzen. Ein Jahr später zeigt sich jedoch, dass die Maßnahmen vor allem Symbolcharakter haben.

Bürokratische Hürden, fehlende Datenerhebung und die geringe Bereitschaft von Arbeitgebern, Fälle zu melden, lassen die angedrohte „neue Härte“ wirkungslos erscheinen.