Der Steuerbetrug, den jeder sehen kann
Der größte Steuertrick läuft nicht im Schatten, sondern mitten im Alltag: keine Kasse, kein Bon, kein Beleg. In vielen kleinen Läden, Imbissen oder Friseursalons wird der Umsatz gerne mal an der Steuer vorbei abgerechnet – oft komplett analog, mit offener Kasse und Quittungsblock, wenn überhaupt.
Das ist legal, solange niemand kontrolliert. Und genau das passiert selten.
Jährlich entgehen dem Staat dadurch immense Summen. Der Bundesrechnungshof spricht von bis zu 70 Milliarden Euro Schaden. 15 bis 20 Milliarden Euro an direkten Steuerausfällen, weitere 30 bis 50 Milliarden durch Schwarzarbeit, nicht gezahlte Sozialabgaben und Lohnsteuer.
Die Hauptverdächtigen: bargeldintensive Branchen mit minimaler digitaler Infrastruktur.
IW-Faktencheck:
Nur 2,4 % der Betriebe werden jährlich durch Kassen-Nachschauen geprüft.
Diese Prüfquote wird in den meisten Bundesländern nicht einmal erreicht.
Bonpflicht – Symbol mit Nebenwirkungen
2020 führte die damalige Große Koalition die Bonpflicht ein. Ziel: mehr Transparenz bei Barumsätzen. Das Resultat war ein bürokratisches Ärgernis mit überschaubarem Effekt. Ob der Zettelzwang tatsächlich zur höheren Steuerehrlichkeit beigetragen hat, ist umstritten – viele Bons landeten direkt im Mülleimer.
Jetzt will die neue Bundesregierung diesen Schritt zurücknehmen. CDU, CSU und SPD haben sich im Koalitionsvertrag auf die Abschaffung geeinigt. Der Hintergrund: mehr Digitalisierung statt Papierflut.
Doch der Rückschritt bei der Bonpflicht soll mit einem anderen Vorstoß kompensiert werden: Ab 2027 soll jeder Betrieb mit mehr als 100.000 Euro Umsatz verpflichtet sein, eine elektronische Registrierkasse zu nutzen.
Damit endet ein Schlupfloch, das bisher hunderttausende Geschäfte offen ließen – darunter viele Spätis, Imbisse und Einzelhändler mit offener Ladenkasse.

„Cash only“ bleibt ein Warnsignal
Der Trend zu digitalen Zahlungen schreitet voran – doch in vielen Läden wird Kartenzahlung immer noch aktiv blockiert. Schilder mit „Nur Barzahlung“ sind kein Zufall, sondern oft Teil eines Systems. Steuerfahnder wissen: Dort, wo nur Bargeld akzeptiert wird, lohnt sich ein genauer Blick.
Florian Köbler, Chef der Deutschen Steuergewerkschaft, hält die neue Kassenpflicht für überfällig – und zugleich für nicht weitgehend genug. Die geplante Umsatzgrenze von 100.000 Euro lasse zu viele Schlupflöcher offen. Seine Forderung: eine Kassenpflicht bereits ab 25.000 Euro Umsatz – verbunden mit mehr Prüfungen und moderner IT.
Mehr Technik, weniger Kontrolle – das reicht nicht
Die Bundesregierung setzt auf technologische Nachrüstung. Das Problem: Die Behörden, die das umsetzen und kontrollieren sollen, sind personell unterbesetzt. Schon heute pfeifen viele Finanzämter auf dem letzten Loch. Ausbildungsstellen bleiben unbesetzt, Nachwuchs fehlt, Digitalisierung stockt.
Dass der Staat künftig auf smartere Systeme statt auf mehr Personal setzt, klingt modern – funktioniert aber nur, wenn die Systeme auch eingesetzt werden. Ein Algorithmus ersetzt keine Kontrolle, wenn niemand ihn betreibt.
Weniger Bons – aber mehr Daten
Langfristig wird sich der Trend ohnehin drehen. Wer heute 20 ist, zahlt fast nur noch mit dem Handy. Die Generation „Bargeldlos“ hat mit Münzgeld kaum noch Berührung. Der demografische Wandel wird den Kassenbetrug nicht abschaffen – aber seine Spielräume verkleinern.
Gleichzeitig entstehen neue Herausforderungen: e-Bons, App-Belege, cloudbasierte Kassensysteme. Was technisch möglich ist, muss politisch flankiert werden – mit klaren Regeln, Standards und Zugriffsmöglichkeiten für Finanzbehörden.
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