Ein unerwarteter Besuch
Ein deutsches Transportflugzeug auf dem Flughafen von Damaskus – ein Bild, das vor wenigen Wochen noch unvorstellbar schien. Außenministerin Annalena Baerbock ist die erste hochrangige EU-Vertreterin, die seit dem Sturz Baschar al-Assads syrischen Boden betritt.
Gemeinsam mit ihrem französischen Amtskollegen Jean-Noël Barrot bringt sie die Botschaft Europas: Unterstützung ja, aber nur unter strikten Bedingungen.
„Ein politischer Neuanfang ist möglich,“ verkündet Baerbock, nicht ohne einen Hauch von Bedingungslosigkeit in der Stimme. Doch dieser Auftritt ist mehr als symbolisch.
Baerbock und Barrot stehen vor einer Übergangsregierung, deren Anführer Ahmed al-Scharaa als früherer Kopf der islamistischen Hajat Tahrir al-Scham (HTS) für viele Skepsis auslöst.
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Ein Land in Trümmern – und neue Machtkämpfe
Nach mehr als einem Jahrzehnt Bürgerkrieg ist Syrien ein Land der Extreme: zerstörte Städte, zerrissene Gesellschaften und ein politisches Vakuum, das viele fürchten. Während al-Scharaa sich als Mann des Übergangs präsentieren möchte, bleibt seine Vergangenheit nicht unbemerkt.
Die HTS, einst ein Ableger von al-Qaida, ist nicht gerade der naheliegende Partner für demokratische Reformen.
„Wir wissen, wo die HTS ideologisch herkommt,“ räumt Baerbock ein. Doch zugleich sieht sie Anzeichen für Wandel – etwa Gespräche zwischen der Übergangsregierung und den kurdischen Syrischen Demokratischen Kräften (SDF). Aber reichen Gespräche, um Misstrauen zu beseitigen?
In Syrien, einem Land, das zwischen Milizen und religiösen Spaltungen zerrissen ist, scheinen Zweifel die einzige Konstante zu sein.
Europa als Brückenbauer – oder Zaungast?
Baerbock lässt keinen Zweifel daran, dass Europa nur dann bereit ist zu helfen, wenn Syrien klare Fortschritte zeigt: „Der Neuanfang kann nur gelingen, wenn alle Syrer – unabhängig von Herkunft oder Religion – eine gleichberechtigte Stimme bekommen.“
Die Bedingungen klingen vernünftig, wirken jedoch in einem Land mit konfessionellen und politischen Spannungen wie ein ambitionierter Wunschzettel.
Auch Russland, das über Jahre eine entscheidende Rolle in Syrien spielte, gerät ins Visier. Baerbock fordert Moskau unmissverständlich auf, seine Militärbasen zu räumen. Doch ob das in Kreml-Kreisen mehr als ein müdes Lächeln auslöst, bleibt fraglich.
Die Rückkehr der Flüchtlinge – Hoffnung oder Zwang?
Ein weiteres heikles Thema: die Rückkehr syrischer Flüchtlinge. Rund 975.000 Syrer leben derzeit in Deutschland – viele von ihnen mit unsicheren Perspektiven. Baerbock betont, dass Rückkehr nur unter sicheren Bedingungen erfolgen könne. Doch wie realistisch ist das in einem Land, in dem die politische Zukunft alles andere als stabil ist?
Die Übergangsregierung verspricht Reformen und Sicherheit, doch Beobachter warnen vor überzogenen Hoffnungen.
„Zu viele Wahlen, zu wenig Wandel,“ könnte das Motto der kommenden Jahre sein. Al-Scharaa selbst spricht von einem Zeitrahmen von vier Jahren bis zu ersten Wahlen – ein Zeitraum, der viel Raum für politische Intrigen und Machtkämpfe lässt.
Ein zerrissenes Land
Die wirtschaftlichen Realitäten Syriens sind erdrückend: Eine Währung, die mehr als 90 Prozent ihres Wertes verloren hat, eine Arbeitslosenquote im Rekordhoch und eine Infrastruktur, die kaum mehr als ein Gerüst ist. Baerbock betont, dass die EU bereit sei, beim Wiederaufbau zu helfen – doch nur unter klaren Voraussetzungen.
Humanitäre Hilfe sei weiter zentral, aber Extremismus dürfe keinen Platz haben, so Baerbock. Ein starker Satz, der jedoch wenig Konkretes bietet, wenn es um die Frage geht, wie Europa Syrien langfristig unterstützen will.
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