19. April, 2025

Unternehmen

Amazon geht raus – und bleibt doch drin

Mit der neuen Funktion „Buy for Me“ kauft Amazon erstmals Produkte auf fremden Websites – im Namen des Kunden. Möglich macht das eine KI, die selbstständig für Nutzer bestellt. Die Strategie dahinter ist weitaus größer als nur ein neues Feature.

Amazon geht raus – und bleibt doch drin
Mit „Buy for Me“ übernimmt Amazons KI eigenständig Bestellungen auf Drittanbieter-Webseiten – ein Systembruch, der den E-Commerce langfristig verändern könnte.

Ein Klick, und Amazon bestellt extern

Amazon hat mit dem Start seines neuen KI-Features „Buy for Me“ einen bisher undenkbaren Schritt vollzogen: Der Konzern bestellt nun im Auftrag seiner Kunden auf Drittanbieter-Webseiten – also außerhalb des eigenen Marktplatzes.

Möglich macht das eine künstliche Intelligenz, die direkt in der Amazon-App eingebettet ist. Nutzer müssen dazu keine neue Plattform aufsuchen, keine Login-Daten fremder Seiten kennen, keine Warenkörbe füllen – die KI erledigt alles.

Der Nutzer wählt ein Produkt, Amazon erledigt den Rest: Bestellung, Checkout, Zahlungsabwicklung. Und das alles ohne die Plattform zu verlassen.

Was wie Convenience klingt, ist ein Strategiewechsel

Bislang war Amazon ein in sich geschlossenes System – ein walled garden, sorgfältig kontrolliert, optimiert und auf Kundenbindung ausgerichtet. Jetzt öffnet sich das Unternehmen.

Auf den ersten Blick zugunsten der Nutzer. Auf den zweiten aus strategischem Kalkül: Amazon will auch dort mitverdienen, wo es bisher außen vor war. Wo Marken ihre Produkte selbst verkaufen, ohne Amazon zu beteiligen.

Der neue KI-Agent ist nicht einfach eine technische Spielerei – er ist eine Trojanisches-Pferd-Strategie, um Amazons Einfluss bis in die Tiefen des E-Commerce zu verlängern.

Der technologische Unterbau: Amazon Bedrock

Das Herzstück hinter „Buy for Me“ ist ein eigens entwickelter KI-Dienst namens Bedrock. Er steuert die Interaktionen mit fremden Online-Shops, füllt Formulare aus, klickt auf Buttons, führt Zahlungsprozesse aus – exakt so, wie es ein Nutzer tun würde, nur schneller, effizienter und fehlerfrei. Unterstützt wird das Ganze von den Claude-Modellen des KI-Startups Anthropic, an dem Amazon selbst beteiligt ist.

Ob Lieferung, Umtausch oder Reklamation – bei externen Shops haftet nicht mehr Amazon. Der Komfortgewinn könnte sich bei Problemen schnell ins Gegenteil verkehren.

Der Rollout erfolgt zunächst vorsichtig: nur für ausgewählte US-Kunden, nur über die Shopping-App auf iOS und Android. Doch die Richtung ist klar: Amazon will seinen digitalen Assistenten in den Alltag der Konsumenten bringen – und zwar über den eigenen Marktplatz hinaus.

Ein Systembruch mit Risiko

Die neue Offenheit bringt nicht nur Chancen, sondern auch Kontrollverlust. Rückgaben, Lieferprobleme oder mangelhafter Kundenservice – all das liegt künftig in der Verantwortung Dritter.

Amazon betont zwar, dass Datenschutz und Transaktionssicherheit gewährleistet seien, verweist aber gleichzeitig auf eingeschränkten Support. Rückfragen zum Produkt oder zur Lieferung? Muss der Kunde künftig selbst klären – mit dem fremden Händler.

Kritiker wie ReFiBuy-CEO Scot Wingo sehen das Konzept skeptisch. Für ihn ist „Buy for Me“ ein Bruch mit dem, was Amazon so erfolgreich gemacht hat: Kontrolle über das Kundenerlebnis, Logistik, Rückgabeprozesse, Produktverfügbarkeit.

„Amazon hat jahrzehntelang daran gearbeitet, Kunden im eigenen Ökosystem zu halten. Jetzt verlassen sie genau dieses System – für ein Feature, das sich nicht einmal skalieren lässt“, so Wingo gegenüber Forbes.

Ein neuer Wettbewerb beginnt

Der Vorstoß könnte weitreichende Folgen für den Onlinehandel haben. Plattformen wie Shopify, Zalando, Etsy oder selbst Nischenanbieter wie Thomann oder Manufactum könnten sich künftig mit einem unsichtbaren Amazon-Agenten konfrontiert sehen, der auf ihren Seiten für Kunden einkauft – und ihnen dabei die Kundenschnittstelle entzieht.

Denn was auf den ersten Blick wie eine Hilfe aussieht, ist in Wahrheit eine schleichende Entkopplung des Shops vom eigentlichen Käufer. Wer bei Amazon sucht, dort klickt und dort bestellt – auch wenn der Kauf extern stattfindet –, bleibt im Amazon-Universum. Sichtbar ist nur noch das Amazon-Gesicht. Die eigentliche Marke gerät in den Hintergrund.

KI als neue Wertschöpfungskette

Mit „Buy for Me“ zeigt Amazon, wie künstliche Intelligenz im E-Commerce nicht nur als Produktfilter oder Chatbot eingesetzt werden kann, sondern zur zentralen Steuerungsinstanz wird. Es ist der erste Schritt in Richtung eines autonom handelnden Einkaufsagenten – der nicht nur Wünsche erkennt, sondern selbstständig beschafft, priorisiert und verwaltet.

Wenn das Modell aufgeht, könnte Amazon künftig zur universellen Einkaufsschnittstelle werden. Nicht nur für den eigenen Shop, sondern für das ganze Web.