In Chicago strahlen Leuchtreklamen mit dem Schriftzug „Happy alco-holidays“ in den Fenstern der zahlreichen saisonalen Pop-up-Bars rund um das Wrigley Field Stadion. Diese temporären Lokale profitieren von der festlichen Stimmung, mit der die Einwohner Chicagos den bevorstehenden Silvesterabend feiern möchten. Doch jenseits der Feierei nimmt die Diskussion um den Alkoholkonsum in den USA Fahrt auf. Experten und Laien debattieren, ob Alkohol mehr schadet oder nützt. Anlass gibt die anstehende Überarbeitung der Richtlinien zum Alkoholkonsum: Sollten Amerikaner ihren Konsum drastisch reduzieren oder ist ein moderater Konsum gar gesünder als völliger Verzicht? Eine aktuelle Untersuchung des Pew Research Center zeigt, dass der Anteil der jungen Amerikaner, die Alkohol konsumieren, in den letzten zwei Jahrzehnten um zehn Prozentpunkte auf 62 Prozent gesunken ist. Zudem gewinnt die Argumentation, dass Alkohol schädlich ist, an Boden: Eine Gallup-Umfrage ergab, dass 45 Prozent der Amerikaner das tägliche Trinken von ein bis zwei Gläsern für ungesund halten. Dies bedeutet einen Anstieg um 17 Punkte seit 2018. Besonders in der Altersgruppe der 18- bis 34-Jährigen glauben 65 Prozent, dass Alkohol gesundheitsschädlich ist. Der globale Getränkeanalyst IWSR berichtet, dass der Pro-Kopf-Konsum von reinem Alkohol in den USA auf den niedrigsten Stand seit 2002 gesunken ist. Diese Entwicklung könnte durch das starke Wachstum des alkoholfreien Marktes fortgesetzt werden, der in den Jahren 2024 bis 2028 voraussichtlich um 18 Prozent jährlich wachsen wird. „Es ist zur Norm geworden, alkoholfreie Getränke auf der Karte zu haben“, sagt Carrie May, Gründerin der Chicagoer Non-Profit-Organisation AF, die nüchternes Feiern fördert. Die Forschung verdeutlicht jedoch, dass viele Menschen ihren Alkoholkonsum eher auf persönlichen Erfahrungen als auf staatlichen Richtlinien basieren, die sich seit Jahrzehnten kaum verändert haben. Trotz der Strenge neuerer internationaler Empfehlungen, wie etwa der WHO oder einer kanadischen Studie, halten sich Länder wie Kanada oder die USA noch an weit großzügigere Richtlinien. Mit der anstehenden Überarbeitung der US-Richtlinien prallen die Theorien von „kein Alkohol ist sicher“ und „moderater Konsum hat gesundheitliche Vorteile“ aufeinander. Zwei Expertengruppen beraten die Regierungsgremien über die Richtlinien 2025-2030. Während die National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine auf moderate Gesundheitsvorteile durch Alkoholkonsum hinweisen, könnte ein gegensätzlicher Bericht Empfehlungen zur drastischen Reduzierung enthalten. Dies sorgt für heftige Gegenwehr seitens der Industrie. Politische Resonanz bleibt nicht aus. Senator Ted Cruz aus Texas kritisierte bereits Gerüchte um neue Grenzwerte und betonte energisch die Freiheit beim Alkoholkonsum. In Wrigleyville hat das benachbarte Cannabisgeschäft nun eine lange Warteschlange. Gallup fand heraus, dass doppelt so viele Amerikaner Marihuana rauchen als 2013. Es ist durchaus möglich, dass zukünftig mehr Menschen auf andere Genussmittel umsteigen. Bis zu den endgültigen Richtlinien bleibt noch genügend Zeit, insbesondere beim Feiern von Silvester, denn der trockene Januar folgt bald darauf.