Ein Blitzkrieg mitten in Syrien
Die schwarzen Banner des Dschihad wehen wieder über Aleppo. Nach jahrelanger relativer Stabilität in der Region haben islamistische Kräfte unter der Führung von Haiat Tahrir al-Scham (HTS) die einstige Metropole überraschend zurückerobert.
Innerhalb weniger Tage fiel eine mehr als 100 Kilometer lange Frontlinie, die syrischen Regierungstruppen wurden überrannt.
Besonders dramatisch: Die Offensive hat gezeigt, wie stark die Dschihadisten aus vergangenen Konflikten gelernt haben – insbesondere von den technologischen Entwicklungen im Ukrainekrieg.
Krieg aus der Ich-Perspektive
HTS setzte massiv auf Drohnentechnologie, wie sie zuletzt in Europa beobachtet wurde. Handelsübliche Drohnen wurden zu tödlichen Mini-Bombern umgerüstet, während FPV-Drohnen (First-Person-View) präzise Angriffe aus der Perspektive der Piloten aufzeichneten.
Diese „Kill-Cam“-Videos dienen nicht nur der Propaganda, sondern unterstreichen die militärische Raffinesse der Islamisten. Überrumpelt und schlecht vorbereitet, mussten Assads Soldaten die Region kampflos aufgeben.
Ein geopolitisches Fiasko
Die Einnahme Aleppos ist mehr als nur ein Rückschlag für das Assad-Regime. Sie deckt die strategischen Schwächen seiner Unterstützer auf. Russland, seit 2015 einer der wichtigsten militärischen Partner Assads, hat seine Präsenz in Syrien spürbar zurückgefahren.
Der Krieg in der Ukraine bindet Ressourcen und lässt Raum für die erstarkten Islamisten. Zwar flogen russische Jets Luftangriffe auf Stellungen der HTS, doch die einstige Dominanz der Russen ist Geschichte.
Ähnlich problematisch ist die Lage für den Iran. Während Teheran weiterhin Milizen und Spezialkräfte in Syrien stationiert, gerät es zunehmend in einen strategischen Dilemma.
Der Tod eines ranghohen Revolutionsgarden-Offiziers durch die Islamisten zeigt, wie sehr der Iran im Spannungsfeld zwischen Syrien, Israel und dem Libanon operiert.
Türkische Interessen und islamistische Strategien
Die Türkei spielt eine ambivalente Rolle. Offiziell bekämpft Ankara die Kurden in Nordsyrien, indirekt stärkt es jedoch islamistische Gruppen wie HTS, die von Rückzugsräumen und logistischer Unterstützung entlang der türkisch kontrollierten Gebiete profitieren.
Dabei verfolgt Präsident Erdoğan klare Ziele: die Schwächung kurdischer Autonomiebestrebungen und die Ausweitung türkischen Einflusses in Syrien. Dass dabei Dschihadisten instrumentalisiert werden, ist kein neues Phänomen.
Assad am Scheideweg
In Aleppo selbst hat die Offensive eine humanitäre Katastrophe ausgelöst. Die Stadt, die seit ihrer Rückeroberung durch Assad 2016 als Symbol seines militärischen Erfolgs galt, ist nun wieder im Würgegriff der Dschihadisten. Berichte über Gräueltaten, darunter öffentliche Hinrichtungen und Enthauptungen, erschüttern die Region.
Assads Regierung kündigt eine Gegenoffensive an, doch es bleibt fraglich, ob sie genügend Mittel hat, um eine nachhaltige Rückeroberung zu erreichen.
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