Staatsfinanzen unter Druck – Größer als befürchtet
Die Finanzlage des Bundes entwickelt sich zunehmend zu einem zentralen Problem für die künftige Regierungskoalition. Laut Bundesfinanzminister Jörg Kukies (SPD) fehlen bis zum Ende der Legislaturperiode rund 130 bis 150 Milliarden Euro – eine Zahl, die selbst erfahrene Haushaltsexperten überrascht.
CDU-Chef Friedrich Merz hatte bereits vor der Wahl einen „Kassensturz“ angekündigt, um Klarheit über die Finanzsituation zu gewinnen. Das Ergebnis: Die Lage sei schlechter als bisher angenommen.
Die größten finanziellen Belastungen kommen durch steigende Verteidigungsausgaben, geringere Steuereinnahmen und neue Sondervermögen für die Bundeswehr sowie Infrastruktur. Ohne drastische Maßnahmen droht der Regierung ein massives Haushaltsdefizit.
Bundeswehr und Infrastruktur: Zwei Großprojekte mit Milliardenbedarf
Besonders ins Gewicht fallen die Verteidigungsausgaben. Deutschland hat sich im Rahmen der NATO verpflichtet, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben. Sobald das aktuelle 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen der Bundeswehr aufgebraucht ist, entsteht allein für das Jahr 2028 ein Defizit von mindestens 28 Milliarden Euro.
Die Union und SPD haben bereits signalisiert, dass sie ein weiteres Sondervermögen für die Bundeswehr auf den Weg bringen wollen – die Rede ist von zusätzlichen 200 Milliarden Euro.
Gleichzeitig fordern Teile der SPD ein ähnlich großes Sondervermögen für Infrastrukturprojekte. Marode Straßen, überlastete Bahnstrecken und unzureichende digitale Infrastruktur stellen für Deutschland zunehmend ein Standortproblem dar. Auch hier könnten 200 bis 300 Milliarden Euro notwendig sein, um die Wettbewerbsfähigkeit des Landes langfristig zu sichern.
Sparmaßnahmen oder neue Schulden? Die große Streitfrage
In den Sondierungsgesprächen wurde schnell klar, dass die Finanzfrage die Verhandlungen dominieren wird. Während die SPD eine Reform der Schuldenbremse ins Spiel bringt, um neue Investitionen zu ermöglichen, setzt die CDU weiterhin auf Haushaltsdisziplin und mögliche Einsparungen.
Ökonomen warnen bereits vor den Konsequenzen einer harten Konsolidierung. Jens Hogrefe, Haushaltsexperte am Kiel Institut für Weltwirtschaft, schätzt die tatsächliche Finanzierungslücke des Bundes auf bis zu 200 Milliarden Euro, wenn man auch kommunale und soziale Verpflichtungen mit einbezieht.
„Zwei neue Sondervermögen werden die strukturellen Finanzprobleme nicht lösen. Die Politik wird um Kürzungen nicht herumkommen“, so Hogrefe.
Zeitdruck: Entscheidungen müssen schnell fallen
Die knappe Zeitspanne setzt die Verhandler zusätzlich unter Druck. Bis spätestens vier Wochen nach der Wahl muss sich der neue Bundestag konstituiert haben. Bis dahin müssen Union und SPD einen tragfähigen Finanzierungsplan präsentieren, um in Sondersitzungen des Bundestags und Bundesrats die neuen Sondervermögen zu verabschieden.
Die Grünen, die bisher nicht in die Gespräche eingebunden sind, zeigen sich verärgert über die undurchsichtigen Verhandlungsprozesse. Fraktionsvize Andreas Audretsch kritisierte CDU-Chef Merz scharf: „In einer so heiklen Frage Termine über die Presse zu kommunizieren, ist unverantwortlich.“
Auch innerhalb der SPD gibt es Unmut darüber, dass Verhandlungsdetails aus CDU-Gremien nach außen dringen.
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